Nach Helmut Dahmer können Karl Marx und Sigmund Freud „als die Begründer dieser dritten Art von Wissenschaft gelten, die sich mit Institutionen der Seele und der Sozietät befasst, die den vergesellschafteten Individuen als ‚natürliche’ erscheinen und sich dadurch gegen Veränderung immunisieren. Die Kritik solcher pseudonatürlichen Produktionen zielt darauf ab, sie durch Rekonstruktion ihrer Entstehungsgeschichte zu de-fetischisieren, um sie reformieren oder auflösen zu können. Die Institutionenkritik ist die Wissenschaft von den Subjekten der Lebens- und Sozialgeschichte. Wo das Verstehen versagt, greift sie provisorisch auf Erklärungen zurück, die sich daran bewähren, dass die davon betroffenen Subjekte sie adoptieren können, also die Erklärung ihres Verhaltens ihrem Selbstverständnis integrieren (und sie damit gegenstandslos machen).
Sucht man nach einer prägnanten Charakteristik des Freudschen Projekts, findet sich keine bessere als diejenige, die Adorno für das Marxsche reklamierte: ‚Anamnesis der Genese’[1].(…) Den Weg zu einer ‚Freien Assoziation’, in der die demokratische ‚Verwaltung von Sachen’ an die Stelle der ‚Herrschaft über Menschen’ getreten ist, sperren monströse Sphingen ab, deren Rätsel wir noch immer nicht gelöst haben. Die Geschichte der Psychoanalyse war bisher vor allem eine Geschichte der Verkennung, Verfemung und Selbsteinschränkung.[2] Darum ist es an der Zeit, sich der eigentlichen Intention der psychoanalytischen Aufklärung zu erinnern: obsolet gewordenen Institutionen der Lebens- undKulturgeschichte den Naturschein abzustreifen, um ihre Revision zu ermöglichen.“ (Dahmer)
Die Psychoanalyse Freuds gehört allen, die, wie Freud an einer Kultur interessiert sind, „die keinen mehr erdrückt“(Dahmer), allen, die mit Freud beginnen, die Rätsel ihrer Lebensgeschichte und der sie beherrschenden Institutionen zu lösen.
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„Historischer Materialismus ist Anamnesis der Genese.“ Notiz Adornos nach einem Gespräch mit Sohn-Rethel am 16. 4. 1965. Zitiert nach Sohn-Rethel, Alfred (1989): Geistige und körperliche Arbeit. (Revidierte und ergänzte Neu-auflage.) Weinheim, S. 223.
„Für die Geschichte der Freudschen Psychoanalyse“, schreibt Helmut Dahmer, „war entscheidend, dass die als eine „Technik“ (miss-)verstandene Psychotherapie allmählich aus ihrer Matrix, der kritischen Theorie der kulturellen Entwicklung, herausgeschält und ihr gegenüber verselbständigt wurde. Techniken aber sind nach gängiger Meinung in diversen Kontexten anwendbar, also für ganz verschiedene Zwecke einsetzbar. So nimmt es nicht wunder, dass auch die Freudsche Kunst, verstörende „Symptome“ zu deuten, alsbald zur Beute von ingeniösen Arisierern wie C. G. Jung[2] wurde oder sich – unter Verschleierung ihrer Provenienz – als Psychotherapie in den Dienst des NS-Menschenfresserstaats stellen ließ.“ (S.1)
Vgl. dazu: Heinz Gess, Vom Faschismus zum Neuen Denken. C. G. Jungs Theorie im Wandel der Zeit, Lüneburg 1994, und im www.kritiknetz.de die Aufsätze:
ders. , C. G. Jung und die faschistische Weltanschauung, in: Kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft Link: http://bit.ly/TrkgqI
ders. , Durchkommen ist alles. C. J. Jungs Bestimmung des Hauptfeindes, in: Kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft. Link: http://bit.ly/19bXFEh
ders. , „Konstruktive Kritik“ als Entsorgung der Vergangenheit in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft. Link: http://bit.ly/1gv27mD