Vortrag zur Eröffnung der Konferenz „Kritische Theorie. Eine Erinnerung an die Zukunft“, Humboldt Universität, Berlin am 29. November 2013
Detlev Claussen stellt in seinem Vortrag zunächst heraus, dass nicht alles, was den Namen „Kritische Theorie“ usurpiert, diesen Namen auch verdient. Dazu gehören insbesondere Jürgen Habermas und sein Gefolge von Wissenschaftshistorikern. Sie verkennen die kritische Theorie als ein an den konformistischen Wissenschaftsbetrieb „anschlussfähig“ zu machendes interdisziplinärens Forschungsprogramm, das es ermöglichen soll, in Form „konstruktiver Kritik“ an allem und jedem alles – Hegel, den symbolischen Interaktionismus (G. H. Mead), Emil Durkheim, die angelsächsische Sprachphilosophie, Heidegger - mit der anschlussfähigen Version der „Kritischen Theorie“ und miteinander zu einem integrierten Ganzen zu verbinden, das der kritiklosen „Theorie sozialer Systeme“ als vermeintlich kritischem Paradigma entgegengehalten wird.
Ferner erinnert er nachdrücklich daran, dass der Namensgeber der Kritischen Theorie Max Horkheimer heißt - und nicht etwa Wolfgang F. Haug, B. Brecht oder A. Gramsci.[1]
Anschließend benennt er globale Gleichzeitigkeiten, an denen die "Kritische Theorie der Gegenwart“ sich theoretisch und praktisch zu bewähren hat:
- den unaufhörlich weitergehenden Völkermord mitsamt dem weltweit Angst verbreitenden öffentlichen Gebrauch der Identitätskategorie als einer Keule, mit der Menschen überall auf dem Globus erschlagen werden. Kritische Theorie muss die Kritik der Gewalt und des mörderischen Hasses fortsetzen, der sich nicht selten als "Volksbefreiung" ausgibt.
- die Transformation der kapitalistischen Gesellschaft in eine ohne Bürgertum, deren Kennzeichen der Hunger von Abermillionen ist. „Eine kritische Theorie, die den Namen verdient, muss diese brutale außertheoretische Seite des Begriffs der Gesellschaft erinnern, die im täglichen Existenzkampf in Vergessenheit gerät.“ (Claussen)
- das Obsoletwerden der Ideologiekritik, weil, was vordem zu Recht Ideologie genannt wurde, verfällt und durch „Alltagsreligion“ (Claussen), „glaubenslosen Glauben“ (Adorno), gepaart mit zunehmender Erfahrungszerstörung und Geschichtslosigkeit, ersetzt wird.
- Die missglückte Säkularisierung: „Multikulturalismus war ein Label, Eththnoheterogenität ist eine Realität und ein Begriff. (…) Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie machen diese Angst zum täglichen Brot. (…) Solidarität ist der Inhalt und die Substanz der Kritischen Theorie, von der Freiheit des Unterschieds lebt sie: Die Freiheit zu wählen, wer ich sein und mit wem ich mich assoziieren will, die Determination durch die Herkunft nicht zu akzeptieren (…) Eine Gesellschaft, die gegenüber Hunger, Terror, Folter und Gewalt indifferent ist, reproduziert die Schuld des Lebens. Das, nichts anderes zwingt zur Kritischen Theorie.“
Heinz Gess
s. dazu: Heinz Gess, „Institut für Kritische Theorie“ (Inkrit Berlin) und „Frankfurter Schule“. Zur Usurpation des Begriffs "Kritische Theorie", in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft. Link:http://bit.ly/1cW7Ejv
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