Drei Gedichte von Heinrich Heine: Donna Clara, Die Wahlesel, An Edom
Am 9. 11. 2018 hielt der Bundespräsident Walter Steinmeier im Bundestag eine Rede zum Gedenken an die Reichspogromnacht von 1938. Wie immer bei solchen Gelegenheiten stellte er im Tonfall tiefer moralischer Erschütterung die Frage, wie konnte es nur so weit kommen, dass das deutsche Volk den Juden derart Ungeheuerliches antun konnte. Eine Antwort darauf gab er nicht. Warum auch? Die Frage, im Tonfall tiefer Erschütterung ausgesprochen, reichte, um sich geläutert zu wissen. Das eben macht den „Jargon der Eigentlichkeit“ deutscher Ideologen aus, dass einzelne Worte oder Sätze „aufgeladen werden auf Kosten von Urteil und Gedachtem.“ Der Jargon sorgt dafür, dass was sein Sprecher möchte, „in weitem Maße ohne Rücksicht auf den Inhalt der Worte gespürt und akzeptiert wird durch ihren Vortrag. Das vorbegriffliche, mimetische Element der Sprache nimmt er zugunsten ihm erwünschter Wirkungszusammenhänge in Regie.“ Er will glauben machen, „die Existenz des Redenden teile sich zugleich mit der Sache mit“(Adorno).
Was Steinmeier in der Weihefeier der Demokratie nicht tat, will ich hier nachholen. Diesmal aber nicht so, dass ich nochmals einen Aufsatz über Antisemitismus oder Antizionismus schreibe, sondern einen Dichter (Heinrich Heine) sprechen lasse, der schon hundert Jahre vor der Pogromnacht von 1938 und der im Raub- und Vernichtungskrieg Deutschlands (1939 -1945) planmäßig und teilweise in betriebsmäßig-rationaler Form durchgeführte Massenmord an sechs Millionen Juden, der richtige Gedanke quälte, dass die deutsche Raserei sich bis zu einer derartigen Endlösung steigern könnte. Damit ist deutlich, dass der Antisemitismus kein Einbruch in einen an sich vernünftigen Prozess der Zivilisation und Aufklärung ist, wie Habermas behauptet , sondern dass eben diesem Prozess, wie er sich real als gewaltsame Evolution der kapitalistischen Produktionsweise vollzieht, die Negativität innewohnt, die im Nationalsozialismus und Faschismus in Erscheinung trat. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden war nicht das Resultat eines Bruchs mit dem Prozess der Aufklärung/Zivilisation, sondern der Dialektik, die der Aufklärung innewohnt. Deshalb heißt das Buch von Horkheimer und Adorno (1944, 1947), in dem sie auf den Faschismus und Nationalsozialismus reflektieren, auch nicht „Bruch mit der Aufklärung“, sondern „Dialektik der Aufklärung“.
Heinz Gess
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