Russland als Racketstaat
Im folgenden Text von Thorsten Fuchshuber (1) geht es in der Hauptsache um Russland als Racket-Staat, den autoritären Charaktertypus, den der Racket-Staat benötigt und züchtet, sowie um die Rolle Putins im Racket-Staat Russland.
Fuchshuber kennzeichnet den Racket-Staat als einen Staat, in dem die Selbsterhaltung in hohem Maße prekär wird, weil sie sich allein an den unmittelbaren Interessen der herrschenden Rackets orientiert. Das führe zu Stagnation und dazu, dass der Großteil der Bevölkerung bei dieser Form der gesellschaftlichen Selbsterhaltung außen vor bleibe. Unter solchen Bedingungen gebe es ausreichend Gründe zu revoltieren. Aber das passiere in Russland nur in geringem Maße.
Erklären lässt sich die Passivität und passive Aktivität mitder spezifischen Form der Anpassung des „Sowjetmenschen“, die sich über den Zusammenbruch der Sowjetunion hinaus erhalten hat. Man kann den Typus des „Sowjetmenschen“ als russische Variante des deutschen Untertanen (Heinrich Mann) verstehen, „als die sowjetische, nunmehr russische Form des autoritären Charakters“: „ein verstaatlichter Mensch, der sich dem Kollektiv völlig unterordnet.“(2) Er zeichnet sich durch „einen sozialen Infantilismus aus, wonach vom Staat erwartet wird, sich um alle Belange des Lebens zu kümmern, während man zugleich dessen Willkür als unausweichlich akzeptiert“, gekoppelt mit einem „massiven Zynismus und einer diffusen Aggressivität“, die nach dem russischen Soziologen Lew Gudkow für ein Zwangskollektiv typisch sind, das alle Eigenschaften einer atomisierten Masse hat, die durch Mobilisierung, Militarisierung, Geschlossenheit und Repression zusammengehalten wird. Seine Integration wird durch die vermeintliche Präsens von gefährlichen äußeren und inneren Feinden zusammengehalten, die der Forderung nach unbedingter Loyalität mit der Staatsmacht Berechtigung verleihen. Die Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Krieg gegen die äußeren und inneren Feinde für den Führer aller Rackets sind unter solchen Umständen naheliegende Mittel, den durch überhandnehmende Konkurrenzkonflikte zwischen den Rackets um die Beute bedrohten prekären Zusammenhalt zu erzwingen.
Die Person Putins als Führer aller russischen/russländischen Rackets hat für die Einheit der um die Beute ringenden Rackets eine zentrale, womöglich sogar unersetzliche Funktion. Denn auch Rackets, die sich in Beutegemeinschaften zusammenfinden, brauchen, wie Fuchshuber klarstellt, eine rudimentäre Form von Stabilität und Ausgleich und Putin ist der Garant dafür. „Nur sind die Strukturen, die diese Stabilität schaffen, nicht solche von der Art, die irgendeine Form von Allgemeinheit, Verlässlichkeit oder gar Rechtsförmigkeit implizieren. Denn gerade davor hat das System Putin die größte Angst: dass mit formaler Allgemeinheit auch wieder Vermittlungsinstanzen zur Geltung kommen, die sich gegen die Interessen der Beutegemeinschaften beziehungsweise Rackets richten können und letztlich das jetzige System selbst in Frage stellen.“
Der Soziologe Gudkow bezeichnet das, was dieses System hervorbringt, als Gegenmodernisierung. Sie überspringt die Phase des Liberalismus und geht sogleich in Gegenaufklärung und Gegenmodernisierung über, die von einer „negativen Mobilisierung“ geprägt ist. Dazu gehören nach innen die Hetze gegen Schwule, Lesben und den zersetzenden Liberalismus und nach außen die aggressive Rhetorik gegenüber den Nachbarstaaten sowie die Bestimmung Europas und der USA (des Westens) zum Hauptfeind des russischen Volkes und seiner spezifischen, ureigenen Kultur. Gutkow charakterisiert diese Ideologie 2007 wie folgt: „Die wiederbelebten archaischen Mythen - die Vorstellung von Russland als organischer Einheit mit einer tausendjährigen Geschichte, als belagerter orthodoxer Festung und als Schutzmacht aller Slawen – kennzeichnet den russischen Nationalismus von Beginn an und sind heute die Grundlagen der Legitimation des Putin-regimes.“ Die damit verbundene negative Mobilisierung wird, so Gutkow (2007) in eine aggressive Außenpolitik überführt, die Putin in der Regel hohe Zustimmungswerte beschert. „Laut Lewada-Zentrum ist dieser Wert von 61% im August 2021 auf 83 % im März 2022 gestiegen. Die USA haben demgegenüber einen so schlechten Ruf wie seit August 2015 nicht mehr.“
(1) Der hier publizierte Auszug aus dem Buch von Fuchshuber „Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft“ (Freiburg, Wien 2019) beruht nicht auf der gedruckten Fassung, sondern auf der letzten, vom Autor noch einmal durchgesehenen, Fassung des Typoskripts. Nachdrücklich empfehle ich das Buch Ihrer Lektüre.
(2) Alle Zitate stammen aus dem „Gespräch über Russlands Machtgefüge und den Ukrainekrieg 2022“ zwischen Thorsten Fuchshuber und David Hellbrück: „Ein Meister der Rackets ist noch kein Gegenhegemon“,veröffentlicht in sans phrase Heft 20, 2022. S. 9-14)
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