Dirk Lehmann kritisiert im vorliegenden Aufsatz zunächst den hektischen Aktionismus der heutigen Bewegungslinken (Blockupy) sehr scharf. „Diese Rebellen … suchen kraft einer sich beinahe überschlagenden Kampagnenhuberei … der Welt ihr Elend doch noch einzuleuchten; wie bei der Schnäppchenjagd ist die Gefahr des Zuspätkommens allgegenwärtig. Eine solche, kein Maß kennende Agitation und Propaganda ist ein Spiegelbild des Akkumulationszwangs. Und wie dieser heute die Individuen bis zur Erschöpfung aktiviert, wären die Rebellen Anhänger einer Art Burn-Out-Kommunismus.“ [1]
In Gegensatz zu diesem „Burn-out-Kommunismus“ bestimmt er die gegenwärtige Zeit, in der die manipulierten Massen loyal zur kapitalkonformen Demokratie stehen, für die Bewegung der Emanzipation als eine „Zeit des Rückzugs“, in der es darauf ankommt, neue Kraft zu schöpfen, neu zu lernen, alte Fehler als solche zu begreifen und zu korrigieren,
und die Kritik in der Auseinandersetzung mit ihren apologetischen Gegnern so zu schärfen, dass sie „den gesellschaftlichen Hebelpunkt“ aufzudecken vermag, „mit minimaler Kraft die unermessliche Last des Staates zu heben.«[2]: »Revolutionäre Parteien müssen stets zulernen. Sie haben gelernt anzugreifen. Jetzt gilt es zu begreifen, dass diese Wissenschaft ergänzt werde muss durch die Wissenschaft, wie man sich richtig zurückzieht. Es gilt zu begreifen – und die revolutionäre Klasse lernt aus eigener bitterer Erfahrung begreifen –, dass man nicht siegen kann, wenn man nicht gelernt hat, richtig anzugreifen und sich richtig zurückzuziehen.« [3]
Geduld und Arbeit an empirisch sattelfester kritischer Theorie als (selbst-) kritisches Reflexionsorgan der Bewegung der menschlichen Emanzipation von Herrschaft – ist folglich die Maxime, die Dirk Lehmann der emanzipatorischen Linken für den ‚richtigen Rückzug’ (Lenin) anempfiehlt. Deshalb auch sein Aufruf: Schafft viele Institute für Sozialforschung, die die Aufgabe des der Sache nach untergegangenen Instituts für Sozialforschung in Frankfurt (ISF) wieder aufnehmen und weiterführen können. Denn das derzeitige Institut in Frankfurt unter Leitung von Honneth, der der vermeintlich „neuen Kritischen Theorie“ das Wort redet, die keine ist, sondern eher ihre Verkehrung im Jargon der Kritik, und das Institut in Hamburg unter Leitung von Jan Philipp Reemtsma erfüllen diese Aufgabe nicht. Wohl aber das Kritiknetz. Es hält auch in der Zeit des Rückzugs an der Aufgabe der kritischen Theorie fest, wie Max Horkheimer sie für das Institut für Soziaforschung 1937 formulierte. Nur fehlen für ein Institut, das diesen Namen verdiente, die materielle Mittel. Bislang arbeiten im Kritiknetz nur wenige Einzelne ohne jedwede materielle Unterstützung an dieser Aufgabe.
„Schafft viele Institute für Sozialforschung!“- Das Kritiknetz könnte die inhaltliche Grundlage für ein erstes sein.
Heinz Gess