Die deutsche politische Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts hat Judenbilder genährt, die sowohl von der Rechten als auch von der Linken absorbiert wurden. Teile der Linken waren mit einer Einstellung behaftet, die als passiver kultureller Antisemitismus bezeichnet werden könnte, mit denselben antijüdischen Vorurteilen, wie sie auch bei den anderen Parteien verwurzelt waren. Jenseits der politischen Rivalität und sämtlicher ideologischer und politischer Trennlinien wurden die Juden übereinstimmend als Fremde betrachtet.Spöttische Bemerkungen über "jüdische Charaktereigenschaften" oder Verachtung der Juden als bürgerliche Gruppe waren ihnen nicht fremd. Gleichgültig für wie fortschrittlich sie sich hielten, wie viele jüdische Freunde sie hatten oder wie groß der Anteil der Juden im eigenen politischen Lager war, bei vielen Sozialdemokraten war das Verhältnis zu Juden von der charakteristischen Dichotomie geprägt, wie sie etwa in dem apologetischen Satz "einige meiner besten Freunde sind Juden" zum Ausdruck kommt.
Das auch in linken Kreisen verwurzelte negative Judenbild bzw. den Juden nachgesagte Kleinlichkeit, Überheblichkeit, Arroganz etc. brachten jene Schadenfreude hervor, die in den erwähnten linken Reaktionen zur antisemitischen Gesetzgebung zum Ausdruck kam. Hierbei scheint mir unerheblich, auf welcher Gesinnung oder welchen Beweggründen dieses Judenbild beruhte. Selbst wenn eine edle Gesinnung dahinterstand, etwa die Befürwortung einer "fortschrittlichen" Lösung, die Schaffung einer homogenen Gesellschaft unter restloser Assimilierung der Juden, dürfen wir den breiteren Kontext dieser Standpunkte nicht aus den Augen verlieren, nämlich wie nahe die geistige Bildwelt eines Teils der Sozialdemokratie mit derjenigen der konservativen oder sogar der rassistischen Rechten verwandt war und wie stark auch in diesem Lager die Ansicht verbreitet war, dass das Eindringen von Juden in die deutsche Politik ihr Scheitern verursacht hat. Obwohl die geistigen Bilder der Linken nicht mit den groben Stereotypen der Nazis übereinstimmen und nicht auf denselben Inspirationsquellen beruhen, offenbaren sie dennoch ein Gefühl der kulturellen Überlegenheit gegenüber den Juden und zementieren durch deren Ausgrenzung den Mythos ihrer Fremdheit.
Link zum Artikel (PDF): "Die Deutsche Sozialdemokratie und der Antisemitismus der Nationalsoziaisten 1933 - 1938". Klicken Sie bitte hier.
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