Ein Versuch, das Phänomen „Islamischer Staat“ zu begreifen
Die barbarische Gegenwart islamistischer Ideologie und Praxis ist nach Thomasz Konicz das Echo der blutgetränkten Vergangenheit des kapitalistischen Westens, an dessen Peripherie Hunger und Elend, Staatszerfall und Bandenherrschaft grassieren. Mehr noch: „Der barbarische Kern kapitalistischer Vergesellschaftung kommt im extremistischen Islamismus wie im Rechtsextremismus zum Vorschein“. (Konicz).
Auf die Gräuel des Islamischen Staates blickend sieht der Westen, dessen Kulturindustrie und politische Bürokratie ihn zur moralischen Wertegemeinschaft erklärt, während er in Wahrheit nur die Gemeinschaft des Wertes ist, sein wahres Spiegelbild, die böse Fratze, die sich im Blendwerk des allherrschenden kapitalistischen Marktes und des ihn flankierenden Sozialstaates verbirgt. Jener lässt die privatbürgerliche Gesellschaft als ein wahres Eden der Menschenrechte erscheinen, dieser hält die vielen ‚Überflüssigen’, bei denen der Mythos vom wahren Eden der Menschenrechte, das die kapitalistische Gesellschaft mit demokratischer Staatsform sei, nicht mehr recht verfangen will, mehrheitlich bei der Stange, solange ein hinreichender Teil des produzierten Mehrwerts für ihre Ruhigstellung abgezweigt werden kann. Die Herren der Welt und ihre Stammbelegschaften, deren sich die Herren bedienen, um ihre Herrschaft durch die Vielen, die mitmachen, weil sie als Stammbelegschaft davon einen Vorteil haben, gegen die anderen durchzusetzen, wollen von dieser bösen Fratze der Gewalt hinter dem schönen Schein partout nichts wissen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf’ (W. Busch) kann das, was dort an der Peripherie der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften geschieht, nichts mit diesen Gesellschaften selbst zu tun haben. Es kann weder schlechtes Resultat des Gesetzes der global vonstatten gehenden kapitalistischen Akkumulation sein dergestalt, dass sich der abstrakte Reichtum in den Zentren als Profit, Rendite oder Boden (Energie-) Rente häuft, während die Peripherie ausblutet, noch kann es das Spiegelbild des gesamtgesellschaftlichen Unrechts sein, das der kapitalistischen Akkumulation in den Zentren, versteckt im Tausch, innewohnt und das auch dort durchbrechen wird, wenn die Selbstbewegung des Kapitals an seine Grenze stößt: „Die liberalen westlichen Zentren des kapitalistischen Weltsystems schwitzen in der gegenwärtigen Systemkrise sowohl den Rechtsextremismus wie den Islamismus aus. … Es ist vor allem die von den Zentren ausgehende und die Peripherie verwüstende ökonomische Krise, die erst die Heerscharen ökonomisch überflüssiger junger Männer hervorbringt, die mangels Perspektiven bereit sind, sich dem Todeskult der Dschihadisten anzuschließen…. Schließlich sind die ideologischen und identitären Reflexe auf diesen Krisenprozess im Abend- wie im Morgenland sehr ähnlich gelagert. Es findet eine autoritäre Rückbesinnung auf die religiöse oder nationale Identität statt, die vorhandene nationale oder religiöse Anschauungen ins ideologische Extrem treibt und zu einer militanten Mobilisierung gegen äußere Feindbilder oder innere Abweichler führt. Der Islamismus ist somit – genauso wie der Rechtsextremismus – ein Produkt der Weltkrise des Kapitals.“ (Konicz)
Zu ergänzen bliebe noch: Diese kritische Erkenntnis muss ideologisch abgewehrt werden. Das geschieht durch Abspaltung. Der Islamismus hat danach mit der guten Herrschaftsordnung, dem Eigentum an Kapital und Boden und ihren scheinbar autopoietisch sich erweiternden Reproduktion nichts zu tun, sondern er ist das böse Andere, das einen dieser Ordnung wesensfremden Ursprung hat. Er ist der Parasit im wahren Eden der Menschenrechte. Weil die Profitiers und die Rentiers, Brüder im Wert, bei aller Konkurrenz um die Verteilung des von ihnen angeeigneten globalen Mehrwerts miteinander kooperieren müssen, damit die ungerechte Herrschafts- und Aneignungsordnung, deren Fortbestand ihr gemeinsames Interesse ist, gesichert werden kann, darf der Islamismus, Ideologie und Praxis der konformistischern Rebellion auf die Krise in der muslimisch Peripherie und darin der nationalsozialistischen Ideologie vergleichbar, mit dem Islam, der Legitimationsgrundlage für autoritäre, antidemokratische Herrschaftssysteme in Saudi-Arabien, Quatar und – mit wenigen Ausnahmen - überall dort, wo der Islam Staatsreligion ist, nichts zu tun haben, so wenig wie der christliche Antisemitismus (Antijudaismus) mit dem Christentum und der Nationalsozialismus etwas mit dem Kapitalismus zu tun haben darf. Und weiter: Weil der Islam nichts mit dem Islamismus (und dieser nichts mit dem Kapitalismus) zu tun habe, habe der eliminatorische islamistische Antisemitismus/Antizionismus auch nichts mit dem Islam (und eben so wenig mit dem Kapitalismus) zu tun. Dieses abgrundtief falsche Bewusstsein dient den westlichen Staaten dazu, den barbarischen IS mit Waffengewalt zu bekämpfen zugleich aber jene Staaten, die Urheber und Financiers dieses Islamismus in Theorie in Praxis sind – wie Saudi-Arabien und Quatar – mit Waffen aller Art zu beliefern und als treue Verbündete der westlichen Wertegemeinschaft im Kampf gegen den Terrorismus zu verkaufen. Insofern ist das falsche Bewusstsein auch nicht nur falsch, sondern es ist notwendig falsch, weil es als falsches eine affirmative Funktion im globalen Herrschaftsgefüge hat.
Heinz Gess
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