Anlässlich des gegenwärtigen Krieges in der Ostukraine wird hierzulande sehr viel über die ideologisch-politischen Kräfteverhältnisse in der Westukraine (Kiew) geschrieben und gesprochen, während man über die diesbezüglichen Verhältnisse in Russland unter der Herrschaft des „lupenreinen Demokraten“ (G. Schröder) Wladimir Putin sehr wenig vernimmt[1] . Dabei ist für die Zukunft Europas doch sehr viel entscheidender, welche politisch-ideologische Entwicklung die russische Union nimmt. Das ist schon so wegen der schieren Größe Russlands, seiner reichen Bodenschätze und Energievorkommen sowie seiner ungeheuren militärischen Destruktionskräfte, die denen der USA nach den jüngsten Aufrüstungen in Russland kaum nachstehen dürften. Betrachtet man aber die ideologische Transformation, die sich in den letzten 15 Jahren in Russland vollzogen hat und als deren Resultat die von Dugin russifizierte völkische Ideologie der „konservativen Revolution“ (Armin Mohler) auf dem Weg ist, die kulturelle Hegemonie in Russland zu erobern, kann einen die aufmerksame Betrachtung der Lage das Fürchten lehren.
Ich spreche hier nicht von der überkommenen Phobie vieler Deutscher vor „dem Russen“, die ein Resultat der unbearbeiteten Kränkung des Siegs der roten Armee als Teil der alliierten Front über Nazideutschland gegen und der bewusstlosen assoziativen Verschiebung ihres mit unterschwelligem Antisemitismus gekoppelten Antikommunismus ist, sondern von einer berechtigten, rationalen Furcht. Denn hätte die deutsche Linke, die mehrheitlich auf die Regierung der Ukraine eindrischt, weil an ihr auch rechts gerichtete, proto-faschistische Kräfte beteiligt sind, zugleich aber von der maßgeblichen Beteiligung eben solcher Kräfte am von Russland unterstützten Sezessionskrieg in der Ostukraine beharrlich schweigt, nur die Wahrheitsliebe und die Courage, die konservativ-revolutionäre Bewegung in Russland samt ihrem politischen Propheten Dugin beim richtigen Namen zu nennen, müsste sie diese Bewegung eine faschistische Bewegung in kulturrassistischer, russifizierter Form nennen, die sie, meinte sie es mit ihrer politisch-moralischen Maxime „Nie wieder Faschismus“ wirklich ernst, wie überall sonst auch zu bekämpfen hätte, nur dort in Russland mit größerer Aufmerksamkeit, mehr Nachdruck und höherer Intensität als an anderen Orten. Das nicht etwa, weil die neu-alte faschistische Bewegung dort eine andere ideologische Qualität als andernorts hat, sondern wegen der außerordentlichen Bedeutung Russlands für Europa und die Europäer. Das Gegenteil aber ist der Fall. Statt über diese ideologische Transformation im post-sowjetischen Raum aufzuklären, folgt die Mehrheitslinke der Maxime frei nah Wilhelm Busch, dass nicht sein kann, was aus alter Liebe nicht sein darf und schweigt über Putins Russland so laut, dass ihr Schweigen geradezu dem Aufmerksamen in den Ohren dröhnt.
Allen voran stellt sich bei dieser Lage die Frage, wie verhält sich Putins politisches Vorhaben, eine eurasischen Union mit dem Zentrum Russland zu schaffen, zu Dugins konservativ revolutionärer Weltanschauung, die die Existenz einer ursprünglichen, eurasischen Kultur mit dem Russentum als Kern und einem dazugehörigen eurasischen Menschentypus hypostasiert, dessen kollektives Unbewusstes existenzieller Träger der eurasischen Kulturwerte ist, und die politische Forderung erhebt, eben diesem früher durch die kommunistische Ideologie und gegenwärtig durch die westliche Kultur unterdrückten, und vergessen gemachten wahren Sein des eurasischen Menschen neu wieder zum Durchbruch zu verhelfen, so wie die nationalsozialistische Bewegung in den dreißiger Jahren dem in ihrem kollektiven Unbewussten verborgenen wahren Sein der Deutschen zum Durchbruch verhalf, mit dem Unterschied freilich, dass bei diesem neuerlichen Durchbruch die bekannten Fehler, die der Nationalsozialismus bei der historischen Realisierung des authentischen Seins des eurasischen Menschen in der Gestaltung des ihm ursprünglich zugehörigen Raumes nicht wiederholt werden. Ist Putins Politik als Versuch der den je gegebenen Umständen angepassten Realisierung dieser weltanschaulich begründeten „konservativ- revolutionären“ Forderung zu sehen, oder verfolgt Putin eine andere Linie und stützt sich auf andere Quellen, sind also die erscheinenden Gemeinsamkeiten nur oberflächlicher Natur. Dieser Frage wird im folgenden Aufsatz von Andreas Umland nachgegangen.
Im Anschluss an den Text finden Sie einen Hinweis zu dem Aufsatz Dugins "The great war of continents" (1992). Der Aufsatz gibt einen erhellenden Aufschluss über die kulturalistisch völkische Ideologie Putins.
Ferner finden Sie im Anhang Hinweise auf weitere Texte des Autors A. Umland, die über den Werdegang des russischen konservativen Revolutionärs Dugin und seine Ideologie weiteren Aufschluss geben.
Der Aufsatz erschien erstmals im Jahr 2012, also vor dem Beginn der Ukraine Krise, in russischer Sprache (s. Anlage zum Text) und wurde auf meine Bitte hin von Giselher Stoll, dem ich dafür herzlich danke, freundlicherweise ins Deutsche übersetzt.
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Heinz Gess
[1] Während die deutsche Linke, die mehrheitlich antiwestlich und antiimperialistisch eingestellt ist, sich mit ungefähr derselben Mehrheit sicher ist, dass die ukrainische Regierung und der ukrainische Staatsapparat nach der Pfeife der Faschisten des „rechten Sektors“ und der Swoboda tanzt und in der Ostukraine unter der Regie dieser Faschisten ein „Völkermord“ gegen eigentlich friedliebende antifaschistische Separatisten stattfindet, die alles andere als völkische Ideologen sind, gibt sich die Mehrheit der anderen, die ihren Antikommunismus ineins mit der narzisstischen Kränkung durch die Niederlage Nazideutschlands im Kampf gegen die Rote Armee als Teil der alliierten Front in eine Phobie gegen „den Russen“ und „den Zionismus“ (Israel) oder gegen „den Amerikaner“ und „den Russen“ zugleich transformiert haben, denen sie als das bessere Reich der Mitte die EU gegenüberstellen, als überzeugt davon, dass es sich bei der Swoboda-Partei und dem „rechten Sektor“ keineswegs um völkische Faschisten handelt, sondern um Personen, die die Souveränität des Staates Ukraine gegen den gewaltsamen Übergriff des russischen Regimes auf ukrainisches Staatsgebiet mit Unterstützung russischstämmiger Ukrainer verteidigen und deshalb als legitime Freiheitskämpfer gegen völkisch begründete imperiale Machenschaften des putinschen Regimes zu achten seien. Ich halte beides für falsch. Richtig ist, dass es sich bei Swoboda und dem „rechten Sektor“ in der Tat um Faschisten mit Einfluss auf die gewählte ukrainische Regierung handelt. Der aber ist nicht so stark, dass allen Ernstes behauptet werden kann, es handele sich in der Ukraine um ein faschistisches Regime. Richtig ist aber auch, dass es sich bei den gegen den Staat Ukraine unter dem Schutze der russischen Armee und Regierung Krieg führenden russischstämmigen Separatisten keineswegs um antifaschistische Freiheitskämpfer handelt, als die sie sich geben, sondern um Weltanschauungskämpfer für einen völkisch reinen (homogenen) Staat „Neurussland“ (als Teil eines großrussischen Imperiums) die von ähnlichem Kaliber sind wie Swoboda und der „rechte Sektor“ in der Westukraine. Die neue Verfassung der Donesker Volkrepublik (DNR) spricht in dieser Hinsicht eine klare Sprache. So heißt es in ihr:
- die Donesker Volksrepublik sei „unabdingbarer Bestandteil der russischen Welt und Zivilisation“.
- Sie fuße auf konservativen Werten wie dem Schutz der traditionellen Familie.
- Dazu gehöre auch, dass alle Rechte und Freiheiten des Menschen vom Zeitpunkt seiner Zeugung an gelten.
- Der orthodoxe Glaube im Sinne des Moskauer Patriarchats sei ideelle Grundlage des Volksstaates und kulturelle Säule der gesamten russischen Welt, mit anderen Worten de facto Staatsreligion.
- Die DNR strebe „die Wiederherstellung eines einheitlichen kulturellen zivilisatorischen Raumes der russischen Welt an.
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