Der Staubbaum wächst
Ein Staubwald überall wo wir gegangen.
Rings um uns steigen Türme des Vergessens
Türme die nach innen fallen
Aber noch bestrahlt von Deinem orangenem Licht!
Die Sage unsrer Liebe lass ich in Quarz verwahren
Das Gold unserer Träume in einer Wüste vergraben
Der Staubwald wird immer dunkler
Weh! Rühr diese Staubrose nicht an!!
Yvan Goll
Replik u. a. auf das Manifest Der kommende Aufstand (JW 49/2010) von Riechelmann
Manfred Dahlmann bringt in diesem Artikel in Erinnerung, was in der Integrationsdebatte, wie sie hierzulande geführt wird, systemischer Amnesie anheimfällt, als gäbe es ein stilles Einverständnis all der deutschen Helden des Befreiungskampfes für die kollektive kulturelle Identität, daran nur ja nicht zu rühren, und welch üble Konsequenzen dieses Vergessen für die Integrationsdebatte hat.
1. Zunächst bringt Dahlmann jenes (immer neu wieder) vergessene für die kapitalistische Produktionsweise konstitutive doppelte Faktum in Erinnerung, dass das Kapital als Souverän gesellschaftlicher Realität negativ in dem doppelten Sinne ist, dass er zum einen nur formal und abstrakt ‚existiert’, und als solcher nicht inhaltlich fassbar ist, und zum anderen in dem präskriptiven Sinne, dass er die Fortexistenz von Ausbeutung und Herrschaft des Menschen über den Menschen festschreibt.
Was die eine, erstgenannte Seite der doppelten Negativität angeht, handelt es sich beim kapitalistisch konstituierten Souverän um „den welthistorischen Beweis“ dafür, dass „die Menschheit in einer (…) rein formal synthetisierten Gesellschaft, die ohne eine Vergemeinschaftung auskommt, die auf unmittelbarer, personaler Herrschaft beruht, sondern die die wahlverwandten Individuen stattdessen sich selbst überlässt, „nicht nur überleben, sondern auch sehr viel besser und selbstbestimmter und sogar moralischer leben kann als jemals bisher in der Geschichte“ und dass sich „damit jede anthropologisch oder psychologistisch begründete Notwendigkeit einer Bindung an Religion oder Kultur historisch längst als ‚reaktionäres Gewäsch’ erwiesen hat“.
Was die andere, dunkle Seite der doppelten Negativität angeht, bringt sie strukturell Antisemitismus und Rassismus hervor: So wie „die Gesellschaft strukturell antisemitisch“ ist, so ist „der Staat strukturell rassistisch“ (Dahlmann).
2. Sodann stellt Dahlmann klar, dass die zentrale Konsequenz dieser systemisch bedingten Amnesie der doppelten Negativität des kapitalen Souveräns in der Integrationsdebatte die Forderung Linksdeutscher ist, die Welt solle vom Grundübel der unsichtbar-abstrakten, alle hergebrachten Bindungen, kulturellen Identitäten, Gruppenzugehörigkeiten und Traditionen auflösenden, die Herrschaftsuntertanen als formal, abstrakte Individuen freisetzende und auf sich zurückwerfende Macht erlöst und der wahre, positive, entfesselte Souverän (die Inkarnation Gottes auf Erden) verwirklicht werden, und dass diese Forderung, eben weil sie auf dem Vergessen bzw. dem Heimischgewordensein in der Objektivität der Entfremdung beruht, Ideologie im strikten Sinne des Marx’schen Wortes ist, nämlich affirmatives, notwendig falsches Bewusstsein in der Erscheinungsform ihres Gegenteils. Ein derartig ‚entfesselter’ Souverän kann aber nur „als Wahn (existieren), der nur deshalb nicht als solcher medizinisch diagnostiziert wird, weil er die Normalität repräsentiert, in der die meisten Subjekte sich in ihren Phantastereien bewegen.“ (Dahlmann)Was die andere, dunkle Seite der doppelten Negativität angeht, bringt sie strukturell Antisemitismus und Rassismus hervor: So wie „die Gesellschaft strukturell antisemitisch“ ist, so ist „der Staat strukturell rassistisch“ (Dahlmann).
3. Die wahnhafte ideologische Forderung tritt in zweierlei Form auf: als Forderung nach Reform oder als Forderung zum antikapitalistischen Aufstand für den wahren, positiven Souverän, der die „materielle Gerechtigkeit“ oder mehr noch „die Versöhnung der Menschen untereinander und mit der Natur“ verwirklicht. Reformer wollen „Gerechtigkeit“ und „Versöhnung“, indem sie diejenige Staatspartei unter den fünfen wählen, die sie für die Verwirklichung dieser Ziele für am besten geeignet halten. Die „Aufständischen“, die sich in Kampfbündnissen zusammenschließen, geben sich damit nicht zufrieden. Sie wollen den Kampf oder den Djihad gegen das liberale Schweinesystem entfachen, auf dass es lichterloh brenne und der wahre Souverän durch die zerstörende Feuersbrunst (neu wieder) in Erscheinung trete.
Der Kampf der kämpfenden Gruppen ist, wie Dahlmann richtig konstatiert, der durchgeführte Verrat an dem historisch erreichten, hinfällig Besseren, der verwerfliche Exzess einer von Grund auf verdorbenen Rationalität, die sich im wahnhaften Exzess für das andere ihrer selbst, nämlich die Aufhebung jedweden Herrschaftsverhältnisses,hält, während sie doch nur die souveräne zur Totalität tendierende Herrschaft noch einmal ist, - aber nun nicht mehr als nur negative Herrschaft durch die Form, sondern als ausschließliche, allumfassende, ganzheitliche, positive, unmittelbare Herrschaft des als „Stimme des Volkes“, des „Kollektiven Unbewussten“, des Seins, des „großen Selbst“ bzw. Allahs oder als was auch sonst immer in Erscheinung tretenden abstrakten Souveräns. Dasselbe noch einmal, aber als vollendetes Grauen. Anders kann es nicht sei. Denn die systemisch bedinge soziale Amnesie und positive Ideologie der aufständischen „Kampfgruppen“, von denen Riechelmann in der JW als Kampfgruppen schwärmte, die dem entfesselten positiven, gerechten Souverän den Weg bereiten, schließt aus, dass es ihnen um den Kommunismus gesellschaftlicher Individuen gehen könnte, der „die gesellschaftliche Verwaltung der für das leibliche Leben notwendigen Mittel – was die Loslösung des warenförmigen Reichtums aus den libidinösen Bindungen der Subjekte und deren Befreiung von aller Idolatrie impliziert – an die Stelle dieses Souveräns“ (Dahlmann) treten lässt. Sie wissen es wegen der sozialen Amnesie, der sie wie einer Sucht verfallen sind, womöglich nicht und wähnen sich auf dem Weg zum Kommunismus, aber sie sind auf dem Weg ins neuerliche Grauen. Denn sprengt der Souverän die Fesseln der formalen Negativität, die seine Macht (noch) in Schranken hält, um als unmittelbarer, harter, aber gerechter positiver Souverän „Gerechtigkeit“ und „Versöhnung“ herzustellen, wie „die Kämpfer“ es phantasieren, wird auch ineins damit die strukturelle Latenz des gesellschaftlichen Antisemitismus und des staatlichen Rassismus negativ aufgehoben, und der positive Souverän, die inkorporierte negative Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise auf ihrer eigenen Grundlage, tritt in der Folge dieser Transformation als souveräner Volltrecker des gesellschaftlichen Antisemitismus und staatlichen Rassismus in Erscheinung (s. Ahmadinedjad). Dann aber gibt es von Innen her kein Halten mehr. Darin besteht das wiederkehrende kommende Grauen.
Der Begriff der Kultur bzw. „kulturellen Identität“, wie er in der Integrationsdebatte hierzulande verwendet wird, ist, so Dahlmann, ein zentraler ideologischer Kampfbegriff der Kämpfer für diese verwerfliche Transformation der Gesellschaft. Er bringt „eines der zentralen Ressentiments aus dem Arsenal deutscher Ideologie zum Ausdruck, das um keinen Deut weniger rassistisch (bzw. antisemitisch – HG) wird, wenn es sich gegen sich selbst richtet.1 Der „spezifische Intellektuelle“, der sich „in konkrete Kämpfe einmischt, um andere zum Sprechen zu bringen“ (Nora Sternfeld), ist der eurozentristische Repräsentant deutscher Ideologie, der genau weiß, dass der derartig zum Sprechen Gebrachte etwas anderes als eben deutsche Ideologie nicht von sich geben wird.“ (Dahlmann).
4. Zurecht betont Dahlmann im letzten Schritt seines Essays, dass die kämpfende ‚Befreiung’ des Souveräns aus seiner Negativität zur entfesselten Positivität nicht neu ist, sondern schon einmal stattgefunden hat. Es war die u. a. die von dem „Hirten des Seins“ M. Heidegger und dem „Tiefenpsychologen“ des arischen „kollektiven Unbewussten“ C. G. Jung, die beide als politische Gurus von den kämpfenden Gruppen heute wieder hoch geschätzt werden, verehrte nationalsozialistische Bewegung, der das 1933 gelang. Sie machte den Wahn der psychotisierten Subjekte per Definitionsmacht zur beherrschenden Wirklichkeit – „mit den daraus sich ergebenden Folgen: „Rassismus und Antisemitismus wurden offiziell-positives, vom gesamten Volk zu verwirklichendes, bis zur Niederlage auch verwirklichtes Programm; und der durch die Übersetzung der negativen in die positive Souveränität unwiderruflich gewordene Zusammenbruch der Kapitalreproduktion wurde, polit-ökonomisch konsequent, durch Raubkriege kompensiert. Ideologisch verwirklichten die Deutschen die Philosophie des Lehrers von Foucault, Derrida & Co.: also die Martin Heideggers.“
5. Wie sehr Dahlmann mit seiner ideologiekritischen Analyse der postmodernen, kultur-relativistischen Integrationsdebatte recht hat, bezeugt nicht nur der Wahn des iranischen Führers Ahmadinedschad, er sei der Wegbereiter des verborgenen zwölften Imam, des schiitischen Messias, und habe um dieser seiner gottgewollten Bestimmung willen die Liquidierung des Zionismus im Allgemeinen und des Staates Israel im Besonderen als Träger des Bösen in der Welt zu vollstrecken, sondern bezeugen auch jene linksdeutschen polit-religiöse Ideologen, die dem iranische Gottesstaat und seinen Vebündeten im antisemitischen "heiligen Krieg", der nicht nur Juden sondern auch 'Judäo-Christen' treffen kann. Der namhaftetste dieser links-deutschen Ideologen war zu seiner Zeit der (verstorbene) Rudolf Bahro. Ihm war bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgegangen, dass die „anthropologische Revolution“, die er unter Berufung u. a. auf M. Heidegger, C. G. Jung, Karlfried Graf Dürckheim und Ken Wilber forderte, auf ein „neues 1933“ hinauslaufen müsse. Aber das schreckt ihn nicht, ist er sich doch sicher, dass die Deutschen wegen des Misserfolgs ihres ersten Versuchs, die „seinsmäßige Ordnung“ (Bahro) zu realisieren, bei einem neuen 1933 besser als alle Völker der Welt sonst gegen die Fehler gefeit seien, die bei der Realisierung der „seinsmäßigen Ordnung“ gemacht werden können, und also die Erfolgschance für den positiven, gerechten, Natur und Mensch versöhnenden Souverän nun ungleich größer sei als beim ersten 1933. Selbstverständlich sind auch für den linksvölkischen Bahro „völkische Dinge“ wieder „existentiell“ und die „kulturellen Identitäten“ „völkisch verwurzelt“, also „auf einer tieferen Ebene“, jener der Archetypen des kollektiven Unbewussten nämlich, auch wieder „existentiell“. So kommt es, wie es kommen muss: Begeistert von seinem Wahn ruft er als neuer Wahnfried aus: „Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues 1933?“ - und gibt sogleich selber die Antwort: „Die Ökopoax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit Hitler. Sie muss Hitler miterlösen, die seelische Tendenz, die er (..) immer noch in uns ist.“2 Dann beschreibt er in lichtesten Farben, was er unter dem „erlösten Hitler“, dem Fürsten der ökologischen Wende“ versteht, und wodurch der sich vermeintlich vom alten unterscheidet, und es kommt doch nichts anderes dabei heraus als eine links gedrehte Neuauflage des alten nazifaschistischen Führerkults, die Beschwörung der totalitären Identität von Führer und Volk als „mystischer Demokratie“. Angesichts solche verquaster links gedrehter Wiederkehr der deutschen Ideologie erscheint Bahros Beteuerung, der Versuch eines neuen 1933 werde das versprochene sozialistische Heil nun endlich bringen, als durchsichtige Selbsttäuschung dessen, der, weil er im Wahn befangen ist, seinen Wahn nicht erkennen kann und sich darum, wie der Volksmund sagt, ‚ein X für ein U vormacht’.
So wird die Sprengung der Fesseln der Negativität, die denSouverän (noch) daran hindern zu erscheinen, neu wieder zum Programm gutmenschlicher politischer Theologie. Je mehr solche Propaganda in der bestehenden Krise ohne wirkliche emanzipatorische Alternative weltweit anwächst und die Fessel der Negativität schwächt, um so näher rückt der Tag des Durchbruchs, an dem sich der Souverän universell aus der Negativität der bloßen Form emanzipiert und als positiver universell verwirklicht, der Tag der universellen Verwirklichung der deutschen Ideologie. Das ist der Tag des Grauens und der Zähren, der die Welt zu Asche kehren wird. Der Tag der des Staubbaumes und der Staubrose.
Amnesie der deutschen Kämpfer heißt: Sie wissen nicht und wollen nicht wissen, was sie tun, und gerade darum werden sie es tun, - die Welt im Verein mit ihren Freunden zu Asche kehren, - in der Gewissheit auf dem Weg des wahren Lebens und der wahren Erkenntnis von Gut und Böse zu sein.
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[1] s. auch Heinz Gess, Die Apotheose der kollektiven Differenz und die Liquidierung des Individuums (2010), in: Kritiknetz, Online-Zeitschrift für kritischer Theorie der Gesellschaft, Link: http://bit.ly/9q0NUa
[2] Rudolf Bahro, Logik der Rettung , Stuttgart, Wien 1989, S. 347
[3] Die ganze verquaste postmoderne Deutsche Ideologie von der „anthropologischen Revolution können Sie nachlesen in Bahros „Logik der Rettung". Die Ideologiekritik daran ist in meinem (vergriffenen) Buch „Vom Faschismus zum Neuen Denken (Lüneburg 1994; Restbestände sind noch über Amazon erhältlich) nachlesbar. S. auch im Kritiknetz - Heinz Gess, Der »Neue Mensch« als Ideologie der Entmenschlichung Link: http://bit.ly/dY7aTh und ders. : Die neue Rechte und ihr (pseudo-) linkes Gegenstück, Link: http://bit.ly/hZtmkV
[4] Eugen Drewermann, Der tödliche Fortschritt, Freiburg 1991, S. 184
[5] Eugen Drewermann, Die Spirale der Angst, Freiburg 1991, S. 185
[6]ders., a. a. O., S. 20
s. auch Heinz Gess, Heiliger Krieg in Bielefeld S. 6 ff , in: Kritiknetz, Online-Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft. Link: http://bit.ly/h4iZrV
Heiner A Ritzmann, Diagnose: Verjudung, Therapie: Vernichtung - Zur Wiedergeburt der Totenkopftheologie im Schrifttum Eugen Drewermanns. Link: http://bit.ly/eA718t
Ich hoffe sehr, der Kommentar hat Ihr Interesse an dem gelungenen Essay von M. Dahlmann geweckt. Klicken Sie bitte h i e r , wenn sie ihn lesen möchten.
Der Kampf der kämpfenden Gruppen ist, wie Dahlmann richtig konstatiert, der durchgeführte Verrat an dem historisch erreichten, hinfällig Besseren, der verwerfliche Exzess einer von Grund auf verdorbenen Rationalität, die sich im wahnhaften Exzess für das andere ihrer selbst, nämlich die Aufhebung jedweden Herrschaftsverhältnisses,hält, während sie doch nur die souveräne zur Totalität tendierende Herrschaft noch einmal ist, - aber nun nicht mehr als nur negative Herrschaft durch die Form, sondern als ausschließliche, allumfassende, ganzheitliche, positive, unmittelbare Herrschaft des als „Stimme des Volkes“, des „Kollektiven Unbewussten“, des Seins, des „großen Selbst“ bzw. Allahs oder als was auch sonst immer in Erscheinung tretenden abstrakten Souveräns. Dasselbe noch einmal, aber als vollendetes Grauen. Anders kann es nicht sei. Denn die systemisch bedinge soziale Amnesie und positive Ideologie der aufständischen „Kampfgruppen“, von denen Riechelmann in der JW als Kampfgruppen schwärmte, die dem entfesselten positiven, gerechten Souverän den Weg bereiten, schließt aus, dass es ihnen um den Kommunismus gesellschaftlicher Individuen gehen könnte, der „die gesellschaftliche Verwaltung der für das leibliche Leben notwendigen Mittel – was die Loslösung des warenförmigen Reichtums aus den libidinösen Bindungen der Subjekte und deren Befreiung von aller Idolatrie impliziert – an die Stelle dieses Souveräns“ (Dahlmann) treten lässt. Sie wissen es wegen der sozialen Amnesie, der sie wie einer Sucht verfallen sind, womöglich nicht und wähnen sich auf dem Weg zum Kommunismus, aber sie sind auf dem Weg ins neuerliche Grauen. Denn sprengt der Souverän die Fesseln der formalen Negativität, die seine Macht (noch) in Schranken hält, um als unmittelbarer, harter, aber gerechter positiver Souverän „Gerechtigkeit“ und „Versöhnung“ herzustellen, wie „die Kämpfer“ es phantasieren, wird auch ineins damit die strukturelle Latenz des gesellschaftlichen Antisemitismus und des staatlichen Rassismus negativ aufgehoben, und der positive Souverän, die inkorporierte negative Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise auf ihrer eigenen Grundlage, tritt in der Folge dieser Transformation als souveräner Volltrecker des gesellschaftlichen Antisemitismus und staatlichen Rassismus in Erscheinung (s. Ahmadinedjad). Dann aber gibt es von Innen her kein Halten mehr. Darin besteht das wiederkehrende kommende Grauen.
Der Begriff der Kultur bzw. „kulturellen Identität“, wie er in der Integrationsdebatte hierzulande verwendet wird, ist, so Dahlmann, ein zentraler ideologischer Kampfbegriff der Kämpfer für diese verwerfliche Transformation der Gesellschaft. Er bringt „eines der zentralen Ressentiments aus dem Arsenal deutscher Ideologie zum Ausdruck, das um keinen Deut weniger rassistisch (bzw. antisemitisch – HG) wird, wenn es sich gegen sich selbst richtet.1 Der „spezifische Intellektuelle“, der sich „in konkrete Kämpfe einmischt, um andere zum Sprechen zu bringen“ (Nora Sternfeld), ist der eurozentristische Repräsentant deutscher Ideologie, der genau weiß, dass der derartig zum Sprechen Gebrachte etwas anderes als eben deutsche Ideologie nicht von sich geben wird.“ (Dahlmann).
4. Zurecht betont Dahlmann im letzten Schritt seines Essays, dass die kämpfende ‚Befreiung’ des Souveräns aus seiner Negativität zur entfesselten Positivität nicht neu ist, sondern schon einmal stattgefunden hat. Es war die u. a. die von dem „Hirten des Seins“ M. Heidegger und dem „Tiefenpsychologen“ des arischen „kollektiven Unbewussten“ C. G. Jung, die beide als politische Gurus von den kämpfenden Gruppen heute wieder hoch geschätzt werden, verehrte nationalsozialistische Bewegung, der das 1933 gelang. Sie machte den Wahn der psychotisierten Subjekte per Definitionsmacht zur beherrschenden Wirklichkeit – „mit den daraus sich ergebenden Folgen: „Rassismus und Antisemitismus wurden offiziell-positives, vom gesamten Volk zu verwirklichendes, bis zur Niederlage auch verwirklichtes Programm; und der durch die Übersetzung der negativen in die positive Souveränität unwiderruflich gewordene Zusammenbruch der Kapitalreproduktion wurde, polit-ökonomisch konsequent, durch Raubkriege kompensiert. Ideologisch verwirklichten die Deutschen die Philosophie des Lehrers von Foucault, Derrida & Co.: also die Martin Heideggers.“
5. Wie sehr Dahlmann mit seiner ideologiekritischen Analyse der postmodernen, kultur-relativistischen Integrationsdebatte recht hat, bezeugt nicht nur der Wahn des iranischen Führers Ahmadinedschad, er sei der Wegbereiter des verborgenen zwölften Imam, des schiitischen Messias, und habe um dieser seiner gottgewollten Bestimmung willen die Liquidierung des Zionismus im Allgemeinen und des Staates Israel im Besonderen als Träger des Bösen in der Welt zu vollstrecken, sondern bezeugen auch jene linksdeutschen polit-religiöse Ideologen, die dem iranische Gottesstaat und seinen Vebündeten im antisemitischen "heiligen Krieg", der nicht nur Juden sondern auch 'Judäo-Christen' treffen kann. Der namhaftetste dieser links-deutschen Ideologen war zu seiner Zeit der (verstorbene) Rudolf Bahro. Ihm war bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgegangen, dass die „anthropologische Revolution“, die er unter Berufung u. a. auf M. Heidegger, C. G. Jung, Karlfried Graf Dürckheim und Ken Wilber forderte, auf ein „neues 1933“ hinauslaufen müsse. Aber das schreckt ihn nicht, ist er sich doch sicher, dass die Deutschen wegen des Misserfolgs ihres ersten Versuchs, die „seinsmäßige Ordnung“ (Bahro) zu realisieren, bei einem neuen 1933 besser als alle Völker der Welt sonst gegen die Fehler gefeit seien, die bei der Realisierung der „seinsmäßigen Ordnung“ gemacht werden können, und also die Erfolgschance für den positiven, gerechten, Natur und Mensch versöhnenden Souverän nun ungleich größer sei als beim ersten 1933. Selbstverständlich sind auch für den linksvölkischen Bahro „völkische Dinge“ wieder „existentiell“ und die „kulturellen Identitäten“ „völkisch verwurzelt“, also „auf einer tieferen Ebene“, jener der Archetypen des kollektiven Unbewussten nämlich, auch wieder „existentiell“. So kommt es, wie es kommen muss: Begeistert von seinem Wahn ruft er als neuer Wahnfried aus: „Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues 1933?“ - und gibt sogleich selber die Antwort: „Die Ökopoax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit Hitler. Sie muss Hitler miterlösen, die seelische Tendenz, die er (..) immer noch in uns ist.“2 Dann beschreibt er in lichtesten Farben, was er unter dem „erlösten Hitler“, dem Fürsten der ökologischen Wende“ versteht, und wodurch der sich vermeintlich vom alten unterscheidet, und es kommt doch nichts anderes dabei heraus als eine links gedrehte Neuauflage des alten nazifaschistischen Führerkults, die Beschwörung der totalitären Identität von Führer und Volk als „mystischer Demokratie“. Angesichts solche verquaster links gedrehter Wiederkehr der deutschen Ideologie erscheint Bahros Beteuerung, der Versuch eines neuen 1933 werde das versprochene sozialistische Heil nun endlich bringen, als durchsichtige Selbsttäuschung dessen, der, weil er im Wahn befangen ist, seinen Wahn nicht erkennen kann und sich darum, wie der Volksmund sagt, ‚ein X für ein U vormacht’.
So wird die Sprengung der Fesseln der Negativität, die denSouverän (noch) daran hindern zu erscheinen, neu wieder zum Programm gutmenschlicher politischer Theologie. Je mehr solche Propaganda in der bestehenden Krise ohne wirkliche emanzipatorische Alternative weltweit anwächst und die Fessel der Negativität schwächt, um so näher rückt der Tag des Durchbruchs, an dem sich der Souverän universell aus der Negativität der bloßen Form emanzipiert und als positiver universell verwirklicht, der Tag der universellen Verwirklichung der deutschen Ideologie. Das ist der Tag des Grauens und der Zähren, der die Welt zu Asche kehren wird. Der Tag der des Staubbaumes und der Staubrose.
Amnesie der deutschen Kämpfer heißt: Sie wissen nicht und wollen nicht wissen, was sie tun, und gerade darum werden sie es tun, - die Welt im Verein mit ihren Freunden zu Asche kehren, - in der Gewissheit auf dem Weg des wahren Lebens und der wahren Erkenntnis von Gut und Böse zu sein.
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[1] s. auch Heinz Gess, Die Apotheose der kollektiven Differenz und die Liquidierung des Individuums (2010), in: Kritiknetz, Online-Zeitschrift für kritischer Theorie der Gesellschaft, Link: http://bit.ly/9q0NUa
[2] Rudolf Bahro, Logik der Rettung , Stuttgart, Wien 1989, S. 347
[3] Die ganze verquaste postmoderne Deutsche Ideologie von der „anthropologischen Revolution können Sie nachlesen in Bahros „Logik der Rettung". Die Ideologiekritik daran ist in meinem (vergriffenen) Buch „Vom Faschismus zum Neuen Denken (Lüneburg 1994; Restbestände sind noch über Amazon erhältlich) nachlesbar. S. auch im Kritiknetz - Heinz Gess, Der »Neue Mensch« als Ideologie der Entmenschlichung Link: http://bit.ly/dY7aTh und ders. : Die neue Rechte und ihr (pseudo-) linkes Gegenstück, Link: http://bit.ly/hZtmkV
[4] Eugen Drewermann, Der tödliche Fortschritt, Freiburg 1991, S. 184
[5] Eugen Drewermann, Die Spirale der Angst, Freiburg 1991, S. 185
[6]ders., a. a. O., S. 20
s. auch Heinz Gess, Heiliger Krieg in Bielefeld S. 6 ff , in: Kritiknetz, Online-Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft. Link: http://bit.ly/h4iZrV
Heiner A Ritzmann, Diagnose: Verjudung, Therapie: Vernichtung - Zur Wiedergeburt der Totenkopftheologie im Schrifttum Eugen Drewermanns. Link: http://bit.ly/eA718t
Ich hoffe sehr, der Kommentar hat Ihr Interesse an dem gelungenen Essay von M. Dahlmann geweckt. Klicken Sie bitte h i e r , wenn sie ihn lesen möchten.
Heinz Gess