Bemerkungen zu Adornos "Erziehung nach Auschwitz" und zur Bekämpfung des Antisemitismus heute
Der Autor zeigt in diesem Essay auf, dass sich im Anschluss an die „Studien über Autorität und Vorurteil“ (1944), das Gruppenexperiment „Schuld und Abwehr“ sowie Adornos Vortrag über „Erziehung nach Auschwitz“ (1966) im deutschen Sprachraum stark verkürzte Rezeptionslinien der kritischen Theorie des Antisemitismus etabliert haben. Sie verkennen den Kern des Vernichtungsantisemitismus systematisch, indem sie ihn auf eine spezifische Erscheinungsform von rassistischem Vorurteil reduzieren und die Kritik des Antisemitismus in die historisch vergleichende Genozidforschung einbetten wollen, so dass die bürokratisch verwaltete und teilweise industriell betriebene Vernichtung der Juden durch Nazideutschland nur noch als ein Genozid unter vielen anderen Genoziden erscheint. Das ist zwar weder der kritischen Theorie im Allgemeinen noch Theodor W. Adorno im Besonderen vorzuwerfen, sondern zeugt von den „Grenzen der Aufklärung“ (Detlev Claussen) in der spätkapitalistischen Gesellschaft insbesondere im europäischen Reich deutscher Nation, wo die kapital-affirmative, kulturindustrielle Dialektik der Aufklärung den strukturellen Antisemitismus in Verbindung mit der antisemitischen völkischen Ideologie im Gewand postmoderner Aufklärung neu wieder zum herrschenden kulturellen Code macht.
Gleichwohl aber befinden sich unter jenen, die solche verkürzenden und darum falschen Rezeptionen der kritischen Theorie des Antisemitismus verbreiten, auch postmoderne „Epigonen“ (Kneitschel) Adornos. Deshalb stellt sich im Nachhinein doch die berechtigte Frage, ob nicht auch einige Texte Adornos, für sich genommen, solche verkürzten Rezeptionen ermöglichen bzw. sich als Vorwand für die angesprochenen Verkehrungen eignen. Der Autor des Essays ist dieser Auffassung und hält namentlich die oben genannten Texte, die durchweg nur sozial-psychologisch argumentieren, ohne zugleich auf die Kritik des Werts/Kapitals bzw. der bloß instrumentellen Vernunft zu rekurrieren, für geeignet, „der Auflösung der qualitativen Konturen des Antisemitismus in Minoritätenfeindschaft (und Rassismus) Vorschub zu leisten“. Diese Auflösung aber würde in der heutigen Zeit zum Umschlag von Aufklärung über den postnazistischen Antisemitismus in Gegenaufklärung in Form des antisemitischen Antizionismus oder des islamischen Antisemitismus beitragen. Deshalb plädiert der Autor vehement für die „Re-Akzentuierung des ideologiekritischen Kerns der Erziehung nach Auschwitz“ und trägt dazu in den Abschnitten IV bis VII einige bemerkenswerte Überlegungen bei.
Heinz Gess
Übersicht:
I Dialektik der Emanzipation
II Adornos „Erziehung nach Auschwitz“
III Über die Marginalisierung des Antisemitismus in der „Erziehung nach Auschwitz“
IV Adornos Epigonen in der Pädagogik
V Die neue Internationale des Antisemitismus nach Auschwitz
VI Der islamische Antisemitismus
VII Erziehung nach Auschwitz als Kritik des Antisemitismus
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