Handlungen stehen für die Sozialwissenschaften in engem Zusammenhang mit dem epistemologischen Problem der Möglichkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt. Hinsichtlich dieses Problems lassen sich in einer oberflächlichen Ad-hoc-kategorisierung drei unterschiedliche Stellungnahmen unterscheiden, die thesenhaft so charakterisiert werden können:
(1) Gesellschaftliche Erkenntnis im strikt wissenschaftlichen Sinne als objektive, d.h. kontrollierbare und falsifizierbare Erkenntnis sei nicht möglich
(2) Gesellschaftliche Erkenntnis sei möglich, und zwar mit dem gleichen Anspruch auf Objektivität, wie ihn jede naturwissenschaftliche Erkenntnis erhebt. Das bedeute jedoch nicht Gleichheit der Methoden in Sozial- und Naturwissenschaften. Im Gegenteil: die sozialwissenschaftliche Erkenntnis erfordere auf Grund der Besonderheit ihres Objektbereiches spezifische, von denen der Naturwissenschaften unterschiedene Methoden. Das brauche die Kontrollierbar- und Falsifizierbarkeit nicht zu beeinträchtigen.
(3) Gesellschaftliche Erkenntnis sei in genau der gleichen Weise wie Naturerkenntnis möglich. Die Methode sei unabhängig vom vorgegebenen Objektbereich und für alle wissenschaftliche Erkenntnis gleich. (oft genannt: Position der Exteriorität)
Da jede sozialwissenschaftliche Tätigkeit bereits a priori auf der vorausgesetzten Möglichkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis beruht, (eine Voraussetzung, die ich bejahe) möchte ich in diesem Referat überhaupt nur die beiden letzt genannten Positionen zu Wort kommen lassen. Genau in der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Positionen erhellt sich auch -was das Thema des Referates anbetrifft - das Verstehens- und Sinnproblem, denn die besondere Methode, die auf der einen Seite gefordert, auf der anderen aber abgelehnt wird, ist die des Verstehens. Sie wird gefordert, weil im Gegenstand der Sozialwissenschaften, dem menschlichen (sozialen) Handeln, stets schon Sinn realisiert sei, den es verstehend zu explizieren gelte; sie wird auf der anderen Seite abgelehnt mit der Begründung, Sinn und Bewußtsein, Fremdpsychisches überhaupt seien uns nicht gegeben. Gegeben seien nur die Dinge der Außenwelt. Deshalb seien die Annahmen des Fremdpsychischen ein entbehrlicher Bestandteil gegenüber dem Physischen. Überhaupt seien Thesen über Fremdpsychisches ohne allen wissenschaftlichen Sinn, weil sie nicht zu falsifizieren seien. Letztere Argumentation besitzt meiner Meinung nach den Vorteil, in ihren methodologischen Konsequenzen in Anlehnung an die naturwissenschaftliche Methodologie leichter ausformulierbar zu sein als erstere, die noch heute ein einheitliches, konsistentes "methodologisches Gebäude" für die Sozialwissenschaften vermissen läßt.
Heinz Gess
Link zum Artikel (PDF): "Die Verstehenslehre und Theorie des subjektiven Sinnes bei Weber und Schütz". Klicken Sie bitte hier.
Heinz Gess
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