Kinderstudie - Kinder in Deutschland 2007
Statement der Wissenschaftler
Die 1. World Vision Kinderstudie bietet einen genauen und facettenreichen Einblick in die Lebenswelten von Kindern aus Sicht der 6- bis 11jährigen. Dies wurde möglich durch das Erhebungsdesign, das sich an den Shell Jugendstudien orientiert. Das heißt, neben einer quantitativen Erhebung bei einer repräsentativen Auswahl von Kindern zwischen 8 und 11 Jahren wurde auch eine qualitative Befragung durchgeführt. Dank dieser sind durch 12 Portraits von Kindern ab 6 Jahren sehr lebendige und tiefe Eindrücke in Auffassungen, Erkenntnisse, Gefühle von jungen Kinderpersönlichkeiten möglich geworden.
Kinder haben ihren eigenen Kopf. Sie nehmen aufmerksam und sensibel ihre Umwelt wahr und bewerten diese eigenständig und zuweilen eigenwillig.
Statement der Wissenschaftler
Die 1. World Vision Kinderstudie bietet einen genauen und facettenreichen Einblick in die Lebenswelten von Kindern aus Sicht der 6- bis 11jährigen. Dies wurde möglich durch das Erhebungsdesign, das sich an den Shell Jugendstudien orientiert. Das heißt, neben einer quantitativen Erhebung bei einer repräsentativen Auswahl von Kindern zwischen 8 und 11 Jahren wurde auch eine qualitative Befragung durchgeführt. Dank dieser sind durch 12 Portraits von Kindern ab 6 Jahren sehr lebendige und tiefe Eindrücke in Auffassungen, Erkenntnisse, Gefühle von jungen Kinderpersönlichkeiten möglich geworden.
Kinder haben ihren eigenen Kopf. Sie nehmen aufmerksam und sensibel ihre Umwelt wahr und bewerten diese eigenständig und zuweilen eigenwillig.
Das zentrale Anliegen der World Vision Kinderstudie ist es, genau diese Wahrnehmungen und Einschätzungen von Kindern in den Mittelpunkt zu stellen, um ein möglichst authentisches Bild des Kindseins in Deutschland zu erhalten. Dieses Bemühen eint die Studie mit anderen Untersuchungen wie etwa dem DJI - Kinderpanel oder dem LBS - Kinderbarometer.
Insgesamt können wir sagen, dass sich eine große Mehrheit der von uns befragten Kinder in ihren Lebensverhältnissen in Familie und Schule, mit Freunden und in der Freizeit wohl fühlt. Insbesondere das Familienklima wird aus Sicht der Kinder als ruhig und relativ konfliktarm wahrgenommen. Auch mit den Freunden, der Qualität von Beziehungen zu Gleichaltrigen, der Anzahl der Freunde, der Möglichkeiten gemeinsamer Aktivitäten sind 3 von 4 Kindern zufrieden. Kinder mit Migrationshintergrund, insgesamt 24 %, sind nicht wesentlich schlechter integriert als einheimische deutsche Kinder. Migrantenkinder und einheimische deutsche Kinder sind immer dann miteinander befreundet oder verbunden, wenn sie sich im Alltag treffen und umgekehrt, dann eher getrennt, wo ihr Alltag sich unterscheidet.
Das in den Medien präsente Thema Mobbing und Gewalt im Alltag taucht zwar auch in unserer Studie auf, es handelt sich dabei aber nicht um ein Massenphänomen, mit dem sich die Mehrheit der Kinder konfrontiert sehen würde.
Weiter: s. Erweiterte Einileitung
Die differenzierte Auswertung und Interpretation unserer Daten zeigt aber folgendes sehr deutlich: Je nach Schichtzugehörigkeit haben Kinder äußerst unterschiedliche Gestaltungsspielräume. Kinder aus den unteren Herkunftsschichten beginnen von vornherein mit größeren Risiken und geringeren Teilhabemöglichkeiten als ihre Altersgenossen aus den mittleren und höheren Schichten. Die schlechteren Startchancen beziehen sich dabei nicht etwa "nur"auf die Schule, sondern sie durchziehen und prägen den gesamten Alltag der Kinder und so wirken sie wie ein Teufelskreis. Diesen zu durchbrechen, vermögen Kinder nur mit einer vielseitigen Unterstützung und einer verantwortungsvollen Politik. Armutsrisiken und fehlende häusliche Ressourcen beeinträchtigen Kinder in der Entwicklung ihrer Potenziale. Dies insbesondere auch dann, wenn in den Schulen eine individuelle Förderung fehlt, wenn das Wohnumfeld kreative Aktivitäten nicht ermöglicht, Vereine nicht erreichbar sind. Eine Folge davon ist ein einseitiger und erhöhter Fernseh- und Medienkonsum. Besonders markant ist dabei, dass insbesondere Jungen für diese Form der Freizeitgestaltung anfälliger sind als Mädchen.
Die World Vision Kinderstudie weist eindeutig nach, dass die soziale Herkunft des Kindes dessen Entwicklung prägt und vor allem sehr früh über Bildungsverlauf und Schulkarriere entscheidet. Während nur 21 % der Kinder der untersten Bildungsschicht das Abitur als angestrebten Schulabschluss angeben, liegt der Anteil der Kinder aus der obersten Bildungsschicht mit dem Abitur als Ziel bei 82 %.
Wir können davon ausgehen, dass die meisten Kinder in diesem Alter die Bedeutung des Schulabschlusses, auch wenn er noch weit entfernt liegt (knapp zwei Drittel unserer befragten Kinder besuchte noch die Grundschule), klar erkennen. Auffällig ist deshalb die geringe Bildungsaspiration in der Unterschicht, aber auch die Kinder aus der unteren Mittelschicht und der Mittelschicht fallen hier vergleichsweise stark zurück. Mit den Aussagen der Kinder werden die getrennten Bildungswelten in Deutschland sichtbar.Schaut man sich diese zentrale Erkenntnis unserer Studie anhand einzelner Aspekte etwas genauer an, so wird beispielweise sehr deutlich, dass prekäre Verhältnisse in den Familien mit der Wahrnehmung der Kinder, zu wenig Zuwendung zu erfahren, zusammenhängen.
Nicht die Berufstätigkeit der Eltern führt zu Zuwendungsdefiziten, im Gegenteil lässt sich zeigen, dass eine adäquate Erwerbsbeteiligung präventiv wirkt. Insgesamt geben 13 % der Kinder an, ihre Eltern hätten beide zu wenig Zeit bzw. ein Elternteil habe zu wenige Zeit oder selten Zeit für sie. Davon sind es aber 35% derjenigen Kinder, die mit einem erwerbstätigen alleinerziehenden Elternteil zusammenleben und 28%, deren Eltern arbeitslos sind. Aus Sicht der Kinder ist folglich weniger das Ausmaß der Erwerbstätigkeit der Eltern ein Indikator für Zuwendungsdefizite, sondern zusätzliche Belastungen, wie sie etwa Alleinerziehende haben oder die Alltagssituation in Familien, in denen Arbeitslosigkeit das Leben dominiert. Nur noch 42 % der Kinder leben in einer traditionellen Ein-Mann-Verdiener" Familie, wohingegen 45 % mit zwei erwerbstätigen Eltern bzw. mit erwerbstätigen alleinerziehenden Elternteilen aufwachsen. Erwerbstätigkeit beider Eltern gehört demnach zum Alltag von vielen Kindern in Deutschland. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die 8- bis 11jährigen Kinder mehr Zuwendung von ihren Vätern wünschen (Infokarte 1, World Vision Kinderstudie, S. 105). Während 67 % der Kinder angaben, ihre Mutter habe genügend Zeit für sie, so trifft das nur für 34 % der Väter zu. Hier zeigt sich demnach aus Sicht der Kinder, eine geschlechtsspezifische Verteilung von Familien- und Beziehungsaufgaben, die sie sich letztlich anders vorstellen können, ja sogar wünschen.
In unserer Studie haben wir die Kinder auch nach ihrer Meinung zu eine der wichtigsten Maßnahmen der aktuellen Bildungspolitik befragt: Zur Schaffung von Ganztagsschulen. Die 8- bis 11Jährigen, die noch eine Halbtagsschule besuchen, sind zwar mehrheitlich für die Ganztagsschule, aber sie lehnen es ab, den ganzen Tag Unterricht zu haben (Infokarte 4, World Vision Kinderstudie, S. 156). Ausgehend von den Vorstellungen und Bedürfnissen der Kinder sind deshalb Bildungspolitik und Schulentwicklung gut beraten, über eine kreative und fördernde Rhythmisierung des Schultages nachzudenken. Hier geben die Kinder deutliche Hinweise, wenn 73 % sich Sportangebote, 50 % Kunst- und Theater-AG"s wünschen, immerhin 44 % Projektunterricht und 34 % eine Hausaufgabenbetreuung für den Nachmittag vorschlagen. Sieht man sich beispielsweise den Alltag von Kindern in Gymnasien mit der neuen G 8 - Struktur an, so wird anhand der vollen Stundentafel von weit über 30 Unterrichtsstunden klar, dass die Vorstellungen der Kinder kaum Berücksichtigung finden.
Diese Thematik ist ein weiterer Schwerpunkt der vorliegenden Kinderstudie: Die Beteiligung an Entscheidungen in Familie und Schule sowie die Einschätzung der Kinder, ob, von wem und in welchem Ausmaß Wert auf ihre Meinung gelegt wird (Infokarte 7, World Vision Kinderstudie, S. 243). Am besten schneiden die Eltern ab, denn 58 % der Mädchen und 55 % der
Jungen geben an, ihre Mutter lege eher viel Wert auf ihre Meinung und bei 46 % der Mädchen und 48 % der Jungen ist der Vater sehr offen, gefolgt werden diese von den Freunden. Für uns auffällig ist die Einschätzung, dass nur 30 % der Mädchen und 23 % der Jungen denken,
ihr Klassenlehrer oder ihre Klassenlehrerin würde auf ihre Meinung eher viel Wert legen. Zwar bezieht sich die große Mehrheit, nämlich 69 % durchaus positiv auf die Schule, aber hier sehen wir ein deutliches Defizit in der Haltung der erwachsenen Professionellen, gegenüber den Ansichten von Kindern. Eine an der UN-Kinderrechtskonvention ausgerichtete nationale Kinderpolitik und Pädagogik ist in allen Alltagsbereichen der Kinder aufgefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder sich konstruktiv und gestalterisch einbringen können. Wir halten es für zentral, dass jedes Kind in seinem Alltag die Erfahrung macht, in seiner Persönlichkeit und in seiner Meinung wertgeschätzt zu werden und ebenso selbstverständlich und durchgängig erlebt, in seinem Handeln und Denken wirksam zu sein.
Erfahrungen der Wertschätzung und Selbstwirksamkeit können Kinder neben der Familie und der Schule, zusammen mit Erwachsenen und Freunden gerade auch in der Freizeit sammeln. Das Freizeitverhalten und der Umgang von 8- bis 11jährigen Kindern mit dem Fernsehen und
anderen Medien bilden einen weiteren Schwerpunkt unserer Kinderstudie (Infokarte 5, World Vision Kinderstudie, S. 218 ff). Insgesamt scheint das Verhalten der Kinder recht unspektakulär: Am meisten und offenbar am liebsten treffen sie sich mit Freunden, sie treiben Sport, doch bereits an dritter Stelle steht das Fernsehen, gefolgt von Musik hören und der Beschäftigung mit Spielzeug und mit Tieren. Erst danach folgen Lesen, Basteln und Malen. Aber auch der Zeitvertreib mit dem Computer oder einer Playstation rangiert relativ weit unten. Insofern sticht ein Ergebnis zunächst hervor: Das Fernsehen hat bei Kindern in Deutschland einen prominenten Platz, die Präsenz von Computerspielen u.a. hingegen rangiert in diesem Alter eher weiter unten, ist jedoch bei Jungen mit 41 % deutlich beliebter als bei Mädchen mit 18 %.
Im Freizeitverhalten zeigt sich unseres Erachtens jedoch eine gravierende Entwicklung. Gerade hier scheinen sich getrennte Welten zu verfestigen: So sind zwar 73 % der Kinder in regelmäßige Gruppenaktivitäten eingebunden, sei es im Verein, in der Musikschule oder anderen institutionellen Gruppen, aber die Schichtabhängigkeit schlägt sich auch hier durch. Bei Kindern aus den unteren Schichten gehen nur 47 % einer entsprechenden Freizeitbeschäftigung nach, bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es 63 %. Es sind die Kinder aus gehobenen Schichten, die auch in den Sportvereinen, denen eigentlich eine wichtige soziale Integrationsfunktion zugeschrieben wird, dominieren. Während der Fernsehkonsum insgesamt hoch ist, zeigt sich auch hier wiederum die Bedeutung der Schichtzugehörigkeit, denn 41 % der Kinder aus den unteren Schichten berichten davon, täglich und mehr als zwei Stunden am Tag fernzusehen.
Wir haben für die Kinderstudie das Zusammenspiel unterschiedlicher Freizeitaktivitäten analysiert. Der zentrale Unterschied liegt unseres Erachtens darin, ob sich Kinder in ihrer freien Zeit anregen lassen und so ein Verhalten entwickeln, das sich auch positiv auf ihre schulischen Leistungen auswirkt, etwa durch Sport und regelmäßiges Lesen oder ob in der Freizeit ein bestimmtes Fernsehverhalten gekoppelt mit geringer Leseaktivität den Alltag bestimmt. Jedenfalls wird deutlich, wie stark das Freizeitverhalten Einfluss auf die Bildungsaspiration und den Schulerfolg der Kinder ausübt.
Die World Vision Kinderstudie unterscheidet drei Gruppen: Vielseitige Kids, Normale Freizeitler und Medienkonsumenten. Mit Hilfe dieser Differenzierung tritt ein weiterer Aspekt der getrennten Welten im Freizeitverhalten markant hervor: der Geschlechterunterschied. Während zu der Gruppe der vielseitigen Kids vorrangig Mädchen aus gehobenen Schichten gehören, befinden sich in der Gruppe der Medienkonsumenten vorrangig Jungen aus den unteren Schichten. Kinder mit schlechter schulischer Leistungseinschätzung und mit einem negativen Bezug zur Schule finden sich häufiger in dieser Gruppe. Das heißt, diese Kinder verfügen aufgrund ihrer Herkunft über weniger häusliche Ressourcen, sie sind weniger gut in Vereine und sonstige Gruppen integriert und ihr Freizeitverhalten ist angesichts des Fernsehkonsums eher einseitig. Demgegenüber profitieren die vielseitigen Kids ebenso wie die normalen Freizeitler vielfältig von den Anregungen in ihrer Freizeit. Dies trifft innerhalb dieser Gruppen insbesondere auf die Mädchen zu.
Die Ergebnisse der World Vision Kinderstudie untermauern erstens die Fähigkeiten der Kinder, über sich, ihren Alltag, ihre Lebenswelt, ihre Meinung kompetent Auskunft zu geben und zweitens die Notwendigkeit einer konsequenten Rückmeldung an die Kinder, dass Wert auf sie und ihre Sichtweisen gelegt wird. Drittens ist es dringend geboten, die Rahmenbedingungen für Kinder, deren Aufwachsen mit zahlreichen Risiken behaftet ist, entschieden zu verändern,
damit alle Kinder ihre Potenziale so gut wie möglich entfalten können.
Link zum Artikel (PDF): "Kinderstudie 2007 Kinder in Deutschland 2007". Klicken Sie bitte hier.
Insgesamt können wir sagen, dass sich eine große Mehrheit der von uns befragten Kinder in ihren Lebensverhältnissen in Familie und Schule, mit Freunden und in der Freizeit wohl fühlt. Insbesondere das Familienklima wird aus Sicht der Kinder als ruhig und relativ konfliktarm wahrgenommen. Auch mit den Freunden, der Qualität von Beziehungen zu Gleichaltrigen, der Anzahl der Freunde, der Möglichkeiten gemeinsamer Aktivitäten sind 3 von 4 Kindern zufrieden. Kinder mit Migrationshintergrund, insgesamt 24 %, sind nicht wesentlich schlechter integriert als einheimische deutsche Kinder. Migrantenkinder und einheimische deutsche Kinder sind immer dann miteinander befreundet oder verbunden, wenn sie sich im Alltag treffen und umgekehrt, dann eher getrennt, wo ihr Alltag sich unterscheidet.
Das in den Medien präsente Thema Mobbing und Gewalt im Alltag taucht zwar auch in unserer Studie auf, es handelt sich dabei aber nicht um ein Massenphänomen, mit dem sich die Mehrheit der Kinder konfrontiert sehen würde.
Weiter: s. Erweiterte Einileitung
Die differenzierte Auswertung und Interpretation unserer Daten zeigt aber folgendes sehr deutlich: Je nach Schichtzugehörigkeit haben Kinder äußerst unterschiedliche Gestaltungsspielräume. Kinder aus den unteren Herkunftsschichten beginnen von vornherein mit größeren Risiken und geringeren Teilhabemöglichkeiten als ihre Altersgenossen aus den mittleren und höheren Schichten. Die schlechteren Startchancen beziehen sich dabei nicht etwa "nur"auf die Schule, sondern sie durchziehen und prägen den gesamten Alltag der Kinder und so wirken sie wie ein Teufelskreis. Diesen zu durchbrechen, vermögen Kinder nur mit einer vielseitigen Unterstützung und einer verantwortungsvollen Politik. Armutsrisiken und fehlende häusliche Ressourcen beeinträchtigen Kinder in der Entwicklung ihrer Potenziale. Dies insbesondere auch dann, wenn in den Schulen eine individuelle Förderung fehlt, wenn das Wohnumfeld kreative Aktivitäten nicht ermöglicht, Vereine nicht erreichbar sind. Eine Folge davon ist ein einseitiger und erhöhter Fernseh- und Medienkonsum. Besonders markant ist dabei, dass insbesondere Jungen für diese Form der Freizeitgestaltung anfälliger sind als Mädchen.
Die World Vision Kinderstudie weist eindeutig nach, dass die soziale Herkunft des Kindes dessen Entwicklung prägt und vor allem sehr früh über Bildungsverlauf und Schulkarriere entscheidet. Während nur 21 % der Kinder der untersten Bildungsschicht das Abitur als angestrebten Schulabschluss angeben, liegt der Anteil der Kinder aus der obersten Bildungsschicht mit dem Abitur als Ziel bei 82 %.
Wir können davon ausgehen, dass die meisten Kinder in diesem Alter die Bedeutung des Schulabschlusses, auch wenn er noch weit entfernt liegt (knapp zwei Drittel unserer befragten Kinder besuchte noch die Grundschule), klar erkennen. Auffällig ist deshalb die geringe Bildungsaspiration in der Unterschicht, aber auch die Kinder aus der unteren Mittelschicht und der Mittelschicht fallen hier vergleichsweise stark zurück. Mit den Aussagen der Kinder werden die getrennten Bildungswelten in Deutschland sichtbar.Schaut man sich diese zentrale Erkenntnis unserer Studie anhand einzelner Aspekte etwas genauer an, so wird beispielweise sehr deutlich, dass prekäre Verhältnisse in den Familien mit der Wahrnehmung der Kinder, zu wenig Zuwendung zu erfahren, zusammenhängen.
Nicht die Berufstätigkeit der Eltern führt zu Zuwendungsdefiziten, im Gegenteil lässt sich zeigen, dass eine adäquate Erwerbsbeteiligung präventiv wirkt. Insgesamt geben 13 % der Kinder an, ihre Eltern hätten beide zu wenig Zeit bzw. ein Elternteil habe zu wenige Zeit oder selten Zeit für sie. Davon sind es aber 35% derjenigen Kinder, die mit einem erwerbstätigen alleinerziehenden Elternteil zusammenleben und 28%, deren Eltern arbeitslos sind. Aus Sicht der Kinder ist folglich weniger das Ausmaß der Erwerbstätigkeit der Eltern ein Indikator für Zuwendungsdefizite, sondern zusätzliche Belastungen, wie sie etwa Alleinerziehende haben oder die Alltagssituation in Familien, in denen Arbeitslosigkeit das Leben dominiert. Nur noch 42 % der Kinder leben in einer traditionellen Ein-Mann-Verdiener" Familie, wohingegen 45 % mit zwei erwerbstätigen Eltern bzw. mit erwerbstätigen alleinerziehenden Elternteilen aufwachsen. Erwerbstätigkeit beider Eltern gehört demnach zum Alltag von vielen Kindern in Deutschland. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die 8- bis 11jährigen Kinder mehr Zuwendung von ihren Vätern wünschen (Infokarte 1, World Vision Kinderstudie, S. 105). Während 67 % der Kinder angaben, ihre Mutter habe genügend Zeit für sie, so trifft das nur für 34 % der Väter zu. Hier zeigt sich demnach aus Sicht der Kinder, eine geschlechtsspezifische Verteilung von Familien- und Beziehungsaufgaben, die sie sich letztlich anders vorstellen können, ja sogar wünschen.
In unserer Studie haben wir die Kinder auch nach ihrer Meinung zu eine der wichtigsten Maßnahmen der aktuellen Bildungspolitik befragt: Zur Schaffung von Ganztagsschulen. Die 8- bis 11Jährigen, die noch eine Halbtagsschule besuchen, sind zwar mehrheitlich für die Ganztagsschule, aber sie lehnen es ab, den ganzen Tag Unterricht zu haben (Infokarte 4, World Vision Kinderstudie, S. 156). Ausgehend von den Vorstellungen und Bedürfnissen der Kinder sind deshalb Bildungspolitik und Schulentwicklung gut beraten, über eine kreative und fördernde Rhythmisierung des Schultages nachzudenken. Hier geben die Kinder deutliche Hinweise, wenn 73 % sich Sportangebote, 50 % Kunst- und Theater-AG"s wünschen, immerhin 44 % Projektunterricht und 34 % eine Hausaufgabenbetreuung für den Nachmittag vorschlagen. Sieht man sich beispielsweise den Alltag von Kindern in Gymnasien mit der neuen G 8 - Struktur an, so wird anhand der vollen Stundentafel von weit über 30 Unterrichtsstunden klar, dass die Vorstellungen der Kinder kaum Berücksichtigung finden.
Diese Thematik ist ein weiterer Schwerpunkt der vorliegenden Kinderstudie: Die Beteiligung an Entscheidungen in Familie und Schule sowie die Einschätzung der Kinder, ob, von wem und in welchem Ausmaß Wert auf ihre Meinung gelegt wird (Infokarte 7, World Vision Kinderstudie, S. 243). Am besten schneiden die Eltern ab, denn 58 % der Mädchen und 55 % der
Jungen geben an, ihre Mutter lege eher viel Wert auf ihre Meinung und bei 46 % der Mädchen und 48 % der Jungen ist der Vater sehr offen, gefolgt werden diese von den Freunden. Für uns auffällig ist die Einschätzung, dass nur 30 % der Mädchen und 23 % der Jungen denken,
ihr Klassenlehrer oder ihre Klassenlehrerin würde auf ihre Meinung eher viel Wert legen. Zwar bezieht sich die große Mehrheit, nämlich 69 % durchaus positiv auf die Schule, aber hier sehen wir ein deutliches Defizit in der Haltung der erwachsenen Professionellen, gegenüber den Ansichten von Kindern. Eine an der UN-Kinderrechtskonvention ausgerichtete nationale Kinderpolitik und Pädagogik ist in allen Alltagsbereichen der Kinder aufgefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder sich konstruktiv und gestalterisch einbringen können. Wir halten es für zentral, dass jedes Kind in seinem Alltag die Erfahrung macht, in seiner Persönlichkeit und in seiner Meinung wertgeschätzt zu werden und ebenso selbstverständlich und durchgängig erlebt, in seinem Handeln und Denken wirksam zu sein.
Erfahrungen der Wertschätzung und Selbstwirksamkeit können Kinder neben der Familie und der Schule, zusammen mit Erwachsenen und Freunden gerade auch in der Freizeit sammeln. Das Freizeitverhalten und der Umgang von 8- bis 11jährigen Kindern mit dem Fernsehen und
anderen Medien bilden einen weiteren Schwerpunkt unserer Kinderstudie (Infokarte 5, World Vision Kinderstudie, S. 218 ff). Insgesamt scheint das Verhalten der Kinder recht unspektakulär: Am meisten und offenbar am liebsten treffen sie sich mit Freunden, sie treiben Sport, doch bereits an dritter Stelle steht das Fernsehen, gefolgt von Musik hören und der Beschäftigung mit Spielzeug und mit Tieren. Erst danach folgen Lesen, Basteln und Malen. Aber auch der Zeitvertreib mit dem Computer oder einer Playstation rangiert relativ weit unten. Insofern sticht ein Ergebnis zunächst hervor: Das Fernsehen hat bei Kindern in Deutschland einen prominenten Platz, die Präsenz von Computerspielen u.a. hingegen rangiert in diesem Alter eher weiter unten, ist jedoch bei Jungen mit 41 % deutlich beliebter als bei Mädchen mit 18 %.
Im Freizeitverhalten zeigt sich unseres Erachtens jedoch eine gravierende Entwicklung. Gerade hier scheinen sich getrennte Welten zu verfestigen: So sind zwar 73 % der Kinder in regelmäßige Gruppenaktivitäten eingebunden, sei es im Verein, in der Musikschule oder anderen institutionellen Gruppen, aber die Schichtabhängigkeit schlägt sich auch hier durch. Bei Kindern aus den unteren Schichten gehen nur 47 % einer entsprechenden Freizeitbeschäftigung nach, bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es 63 %. Es sind die Kinder aus gehobenen Schichten, die auch in den Sportvereinen, denen eigentlich eine wichtige soziale Integrationsfunktion zugeschrieben wird, dominieren. Während der Fernsehkonsum insgesamt hoch ist, zeigt sich auch hier wiederum die Bedeutung der Schichtzugehörigkeit, denn 41 % der Kinder aus den unteren Schichten berichten davon, täglich und mehr als zwei Stunden am Tag fernzusehen.
Wir haben für die Kinderstudie das Zusammenspiel unterschiedlicher Freizeitaktivitäten analysiert. Der zentrale Unterschied liegt unseres Erachtens darin, ob sich Kinder in ihrer freien Zeit anregen lassen und so ein Verhalten entwickeln, das sich auch positiv auf ihre schulischen Leistungen auswirkt, etwa durch Sport und regelmäßiges Lesen oder ob in der Freizeit ein bestimmtes Fernsehverhalten gekoppelt mit geringer Leseaktivität den Alltag bestimmt. Jedenfalls wird deutlich, wie stark das Freizeitverhalten Einfluss auf die Bildungsaspiration und den Schulerfolg der Kinder ausübt.
Die World Vision Kinderstudie unterscheidet drei Gruppen: Vielseitige Kids, Normale Freizeitler und Medienkonsumenten. Mit Hilfe dieser Differenzierung tritt ein weiterer Aspekt der getrennten Welten im Freizeitverhalten markant hervor: der Geschlechterunterschied. Während zu der Gruppe der vielseitigen Kids vorrangig Mädchen aus gehobenen Schichten gehören, befinden sich in der Gruppe der Medienkonsumenten vorrangig Jungen aus den unteren Schichten. Kinder mit schlechter schulischer Leistungseinschätzung und mit einem negativen Bezug zur Schule finden sich häufiger in dieser Gruppe. Das heißt, diese Kinder verfügen aufgrund ihrer Herkunft über weniger häusliche Ressourcen, sie sind weniger gut in Vereine und sonstige Gruppen integriert und ihr Freizeitverhalten ist angesichts des Fernsehkonsums eher einseitig. Demgegenüber profitieren die vielseitigen Kids ebenso wie die normalen Freizeitler vielfältig von den Anregungen in ihrer Freizeit. Dies trifft innerhalb dieser Gruppen insbesondere auf die Mädchen zu.
Die Ergebnisse der World Vision Kinderstudie untermauern erstens die Fähigkeiten der Kinder, über sich, ihren Alltag, ihre Lebenswelt, ihre Meinung kompetent Auskunft zu geben und zweitens die Notwendigkeit einer konsequenten Rückmeldung an die Kinder, dass Wert auf sie und ihre Sichtweisen gelegt wird. Drittens ist es dringend geboten, die Rahmenbedingungen für Kinder, deren Aufwachsen mit zahlreichen Risiken behaftet ist, entschieden zu verändern,
damit alle Kinder ihre Potenziale so gut wie möglich entfalten können.
Link zum Artikel (PDF): "Kinderstudie 2007 Kinder in Deutschland 2007". Klicken Sie bitte hier.