Ein Beitrag zur historischen Anthropologie im modernen Kapitalismus
Gliederung
Die getaufte Nymphe. Über Narziss
Das Kreuz mit der Technik
Die Gestalt des Arbeiters als Kunstwerk
Frauenpower statt Mannschaftsgeist
L'art pour l'art
Wo Männer und Frauen als Humankapital fungieren. sind sie Kapital, das zum "Kapital des Unternehmens" passend ist; oder sie sind eben nicht. Sie sind auf keinen Fall als Subjekte gefragt, sondern sind entweder Daimler, Bertelsmann, Flick, also Deutschland, und "verantwortungsvoll' stets darauf bedacht weitere passende Humankapitale ausfindig zu machen, dem Unternehmenskapital zuzuführen und andere unpassende auszusondern - oder sie gelten nichts.
Dazu gehört nach Peter Pott der postmoderne "Big Brother". Er unterscheidet sich vom alten Big Brother, der die reale Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapital unter den Bedingungen der Fließbandproduktion organisierte und kontrollierte, dadurch, dass der "der alte Big Brother sich dem Einschluss, der Integration" widmete.
Gliederung
Die getaufte Nymphe. Über Narziss
Das Kreuz mit der Technik
Die Gestalt des Arbeiters als Kunstwerk
Frauenpower statt Mannschaftsgeist
L'art pour l'art
Wo Männer und Frauen als Humankapital fungieren. sind sie Kapital, das zum "Kapital des Unternehmens" passend ist; oder sie sind eben nicht. Sie sind auf keinen Fall als Subjekte gefragt, sondern sind entweder Daimler, Bertelsmann, Flick, also Deutschland, und "verantwortungsvoll' stets darauf bedacht weitere passende Humankapitale ausfindig zu machen, dem Unternehmenskapital zuzuführen und andere unpassende auszusondern - oder sie gelten nichts.
Dazu gehört nach Peter Pott der postmoderne "Big Brother". Er unterscheidet sich vom alten Big Brother, der die reale Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapital unter den Bedingungen der Fließbandproduktion organisierte und kontrollierte, dadurch, dass der "der alte Big Brother sich dem Einschluss, der Integration" widmete.
Im Fordismus mussten die Leute auf Linie gebracht und darauf gehalten werden. Der neue Big Brother, die Big Sister, dagegen betreibt Ausschluss. Big Sister will, dass die Leute "draußen im Lande' sich selbst flexibel so zurichten, dass sie immer passgenau sich einfügen. Sie sollen jederzeit funktionierende, konformistische Asoziale sein. Big Sister spürt jene auf, die so nicht sind, die sich nicht restlos einfühlen in den "Geist des Kapitals", das alle erhält, und nicht seinen Willen so prompt vollstrecken, als wohne er in ihnen selbst. Sie beseitigt sie auf humankapitalistische Weise, weil sie nicht mit ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen und praktischer Vernunft brechen wollen oder können.
Big Sister darf man sich nach P. Pott nicht als Führer vorstellen. Eher als kalte Frau, die auch ein Mann sein kann, als Verkörperung gewissermaßen der asexuellen, "reinen' Mutter, die unsexuell und ohne Empfängnis die Männchen heranzüchtet, die ihr dienen. Sie hat die Gestalt des androgynen Menschen mit einem geschlechtsneutralen 'polyvalenten' Eignungsprofil und einem universellen Einsatzspektrum im abstrakten Kapitalismus (Hirsch / Roth 1986, S.110). Big Sister ist (sofern ich P. Pott richtig verstanden habe) der Typ der männlichen Managerin oder des weiblichen Managers, der/die alles von außen managt, dabei von eigenen Erfahrungen so weit wie möglich absieht, weil die nur stören, und sich ausschließlich auf Informationen über andere Leute verlässt, um jene, die (ihr) nicht passen, auszuschließen. Dabei bedient sie sich gern der Dienste jener Leute, die den Betrieb noch aus eigener Erfahrung kennen, Altgediente, die sich zu kurz gekommen fühlen und deshalb zu jeder Schandtat bereit sind. Zugleich lebt der alte Big Brother der Disziplinar- und Überwachungsmacht (s. dazu Foucault) fort. Er ergänzt die Funktion, die der neue exekutiert. Bruder und Schwester "teilen sich die Überwachung und Betreuung der Grenzlinie zwischen dem "Drinnen' und dem "Draußen'. (....) Die unmenschliche Grausamkeit des Älteren unterstützt die teuflische Doppelzüngigkeit des Jüngeren" (Z. Baumann, Hamburg 2005, S.187 f., zit. nach P. Pott).
In der systemischen "Praxis" wirkt sich das so aus, dass Mobbing und Racketbildung allgemein werden, das Sprechen darüber aber zugleich einem strengen Tabu unterliegt. Wer dazu gehören will, macht aus Angst, dass es ihn treffen könnte, präventiv mit, bekundet damit seine Loyalität als Humankapital und rechnet darauf, dass Big Sister seine humankapitalen Qualitäten zu schätzen weiß. Jeder macht im Selektionsprozess des Ausschlusses mit, weil jeder Angst hat, er könnte sonst selbst der Nächste sein. Wer nicht mitmacht, weil ihm die teuflische Doppelzüngigkeit zuwider ist, ist schon darum hochgefährdet, als "unpassend an diesem Ort aussortiert zu werden. Wer aber das "mobbing" und Racketstrukturen selbst thematisiert und zum negativen Kritiker wird, ist erledigt. Die vielen Mittuenden schließen sich mit "Big Sister", die masochistischen Männchen mit der kalten, asexuellen großen Mutter, der Verkörperung der toten Produktivität des Kapitals, zusammen gegen den Nichtidentischen, der als Individuum gesellschaftlich leben will. Sie sind sich einig keinen "Big Brother", keine "Big Sister" und erst recht kein Zusammenwirken beider - sondern nur fungierendes humanes Kapital und menschliches Versagen.
In der Theorie sozialer Systeme erscheint diese Veränderung in der Definition sozialer Systeme. Sie werdenl fortan als Grenzen setzende und sich durch die Grenzerhaltung selbst erzeugende (autopoietische) Systeme defniert. Auf kein anderes "soziales System" passt diese Definition besser als auf die Marktwirtschaft. Seit diese die Erscheinungsform der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise ist, ist die politische Ökonomie realiter zu einem autopoietischen System (Luhmann) geworden, das scharf und hart von allem abgrenzt, was (noch) nicht so ist. Das Abgrenzungskriterium ist der Wert und die restlos wertadäquate Zurichtung des Lebendigen. Es muss sich den Erfordernissen seiner Autopoiesis, d. h. der Akkumulation des Unternehmenskapitals, so restlos wie noch nie unterwerfen - oder es gehört eben nicht dazu und wird entfernt. Anders als die Definition von Luhmann vom ökonomischen System als autopoietischen es nahe legt, ist dieses System freilich eines, das sich in Selbstwidersprüchen bewegt und, um daran nicht zu zerschellen, auf die Expansion nach außen und nach innen in die Gesellschaft hinein angewiesen ist. Die Expansion nach innen nehmen jene Manager der Humanität und des Sozialwesens und jene systemische Therapeuten vorweg, die daran gehen, lebensweltliche Beziehungen, sofern es sie gibt - Familien, Liebesbeziehungen, Freundschaftsverhältnisse, alle Formen von Wahlverwandtschaften - als "autopoietische dynamische Gleichgewichtssysteme' nach dem verschwiegenen Vorbild der verdinglichten kapitalistischen Ökonomie zu betrachten und dabei von der eigenen Erfahrung völlig absehen, vielleicht auch absehen müssen, weil sie selbst als karrieresüchtige vereinzelte Einzelne, Fleisch gewordenes Humankapital und überall konformierende Asoziale keine solche Beziehungen und lebendigen Erfahrungen als gesellschaftliche Individuen mehr haben. Denn würden sie sie haben und wirklich reflektieren, würden sie alsbald merken, wie wenig die Übertragung des Systembegriffs auf diese Verhältnisse passt, statt daran zu arbeiten, die Menschen für von ihnen vorgefertigte Systeme passend zu machen und damit auch diesen Verhältnissen das Eigenleben zu nehmen und sie dem toten Selbstlauf der Dinge anzupassen. Bewusstlos machen sich diese Manager des Sozialen und der systemischen Therapie der Lebenswelt zu Agenten der Expansion des Kapitals bzw. der Rationalität der Wertabstraktion in Lebensverhältnisse hinein, die von dieser autopoietischen Systemrationalität noch nicht (vollends) ergriffen waren. Sie wissen es vielleicht nicht, aber sie tun es - und sehen sich als die fortschrittlicheren gegenüber den kritischen Theoretikern, die sich diesem Geschäft verweigern. Sie wissen nicht und wollen nicht wahrhaben, dass sie einem Fortschritt dienen, der am Ende, wenn ihm in dieser Form nicht Einhalt geboten wird, die Erde und den Menschen zerstört. Der Mensch als identisches Humankapital, der Mensch, der vorbehalt- und restlos in den Selbstlauf der Dinge, Systeme genannt, aufgeht, ist kein Mensch mehr. Da kann Nietzsche bis in alle Ewigkeit mit der Laterne nach ihm suchen. Er wird ihn nicht finden, erst recht nicht auf dem Marktplatz.
Wo wird das enden?
Moishe Postone (Freiburg 2003, 575f.) gibt darauf folgende Antwort: Die der Kapitalform anhängende Phantasie "von Freiheit als der völligen Befreiung von aller Stofflichkeit, von der Natur...wird zum Alptraum für all das und all diejenigen, wovon das Kapital sich zu befreien versucht - den Planeten und seinen Bewohnern. "Die Menschheit kann aus diesem schlafwandlerischen Zustand nur erwachen, wenn sie den Wert abschafft" (zit. Nach P. Pott)
Heinz Gess
Link zum Artikel (PDF): "Die fromme Idee der Arbeitsgesellschaft". Klicken Sie bitte hier.
Big Sister darf man sich nach P. Pott nicht als Führer vorstellen. Eher als kalte Frau, die auch ein Mann sein kann, als Verkörperung gewissermaßen der asexuellen, "reinen' Mutter, die unsexuell und ohne Empfängnis die Männchen heranzüchtet, die ihr dienen. Sie hat die Gestalt des androgynen Menschen mit einem geschlechtsneutralen 'polyvalenten' Eignungsprofil und einem universellen Einsatzspektrum im abstrakten Kapitalismus (Hirsch / Roth 1986, S.110). Big Sister ist (sofern ich P. Pott richtig verstanden habe) der Typ der männlichen Managerin oder des weiblichen Managers, der/die alles von außen managt, dabei von eigenen Erfahrungen so weit wie möglich absieht, weil die nur stören, und sich ausschließlich auf Informationen über andere Leute verlässt, um jene, die (ihr) nicht passen, auszuschließen. Dabei bedient sie sich gern der Dienste jener Leute, die den Betrieb noch aus eigener Erfahrung kennen, Altgediente, die sich zu kurz gekommen fühlen und deshalb zu jeder Schandtat bereit sind. Zugleich lebt der alte Big Brother der Disziplinar- und Überwachungsmacht (s. dazu Foucault) fort. Er ergänzt die Funktion, die der neue exekutiert. Bruder und Schwester "teilen sich die Überwachung und Betreuung der Grenzlinie zwischen dem "Drinnen' und dem "Draußen'. (....) Die unmenschliche Grausamkeit des Älteren unterstützt die teuflische Doppelzüngigkeit des Jüngeren" (Z. Baumann, Hamburg 2005, S.187 f., zit. nach P. Pott).
In der systemischen "Praxis" wirkt sich das so aus, dass Mobbing und Racketbildung allgemein werden, das Sprechen darüber aber zugleich einem strengen Tabu unterliegt. Wer dazu gehören will, macht aus Angst, dass es ihn treffen könnte, präventiv mit, bekundet damit seine Loyalität als Humankapital und rechnet darauf, dass Big Sister seine humankapitalen Qualitäten zu schätzen weiß. Jeder macht im Selektionsprozess des Ausschlusses mit, weil jeder Angst hat, er könnte sonst selbst der Nächste sein. Wer nicht mitmacht, weil ihm die teuflische Doppelzüngigkeit zuwider ist, ist schon darum hochgefährdet, als "unpassend an diesem Ort aussortiert zu werden. Wer aber das "mobbing" und Racketstrukturen selbst thematisiert und zum negativen Kritiker wird, ist erledigt. Die vielen Mittuenden schließen sich mit "Big Sister", die masochistischen Männchen mit der kalten, asexuellen großen Mutter, der Verkörperung der toten Produktivität des Kapitals, zusammen gegen den Nichtidentischen, der als Individuum gesellschaftlich leben will. Sie sind sich einig keinen "Big Brother", keine "Big Sister" und erst recht kein Zusammenwirken beider - sondern nur fungierendes humanes Kapital und menschliches Versagen.
In der Theorie sozialer Systeme erscheint diese Veränderung in der Definition sozialer Systeme. Sie werdenl fortan als Grenzen setzende und sich durch die Grenzerhaltung selbst erzeugende (autopoietische) Systeme defniert. Auf kein anderes "soziales System" passt diese Definition besser als auf die Marktwirtschaft. Seit diese die Erscheinungsform der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise ist, ist die politische Ökonomie realiter zu einem autopoietischen System (Luhmann) geworden, das scharf und hart von allem abgrenzt, was (noch) nicht so ist. Das Abgrenzungskriterium ist der Wert und die restlos wertadäquate Zurichtung des Lebendigen. Es muss sich den Erfordernissen seiner Autopoiesis, d. h. der Akkumulation des Unternehmenskapitals, so restlos wie noch nie unterwerfen - oder es gehört eben nicht dazu und wird entfernt. Anders als die Definition von Luhmann vom ökonomischen System als autopoietischen es nahe legt, ist dieses System freilich eines, das sich in Selbstwidersprüchen bewegt und, um daran nicht zu zerschellen, auf die Expansion nach außen und nach innen in die Gesellschaft hinein angewiesen ist. Die Expansion nach innen nehmen jene Manager der Humanität und des Sozialwesens und jene systemische Therapeuten vorweg, die daran gehen, lebensweltliche Beziehungen, sofern es sie gibt - Familien, Liebesbeziehungen, Freundschaftsverhältnisse, alle Formen von Wahlverwandtschaften - als "autopoietische dynamische Gleichgewichtssysteme' nach dem verschwiegenen Vorbild der verdinglichten kapitalistischen Ökonomie zu betrachten und dabei von der eigenen Erfahrung völlig absehen, vielleicht auch absehen müssen, weil sie selbst als karrieresüchtige vereinzelte Einzelne, Fleisch gewordenes Humankapital und überall konformierende Asoziale keine solche Beziehungen und lebendigen Erfahrungen als gesellschaftliche Individuen mehr haben. Denn würden sie sie haben und wirklich reflektieren, würden sie alsbald merken, wie wenig die Übertragung des Systembegriffs auf diese Verhältnisse passt, statt daran zu arbeiten, die Menschen für von ihnen vorgefertigte Systeme passend zu machen und damit auch diesen Verhältnissen das Eigenleben zu nehmen und sie dem toten Selbstlauf der Dinge anzupassen. Bewusstlos machen sich diese Manager des Sozialen und der systemischen Therapie der Lebenswelt zu Agenten der Expansion des Kapitals bzw. der Rationalität der Wertabstraktion in Lebensverhältnisse hinein, die von dieser autopoietischen Systemrationalität noch nicht (vollends) ergriffen waren. Sie wissen es vielleicht nicht, aber sie tun es - und sehen sich als die fortschrittlicheren gegenüber den kritischen Theoretikern, die sich diesem Geschäft verweigern. Sie wissen nicht und wollen nicht wahrhaben, dass sie einem Fortschritt dienen, der am Ende, wenn ihm in dieser Form nicht Einhalt geboten wird, die Erde und den Menschen zerstört. Der Mensch als identisches Humankapital, der Mensch, der vorbehalt- und restlos in den Selbstlauf der Dinge, Systeme genannt, aufgeht, ist kein Mensch mehr. Da kann Nietzsche bis in alle Ewigkeit mit der Laterne nach ihm suchen. Er wird ihn nicht finden, erst recht nicht auf dem Marktplatz.
Wo wird das enden?
Moishe Postone (Freiburg 2003, 575f.) gibt darauf folgende Antwort: Die der Kapitalform anhängende Phantasie "von Freiheit als der völligen Befreiung von aller Stofflichkeit, von der Natur...wird zum Alptraum für all das und all diejenigen, wovon das Kapital sich zu befreien versucht - den Planeten und seinen Bewohnern. "Die Menschheit kann aus diesem schlafwandlerischen Zustand nur erwachen, wenn sie den Wert abschafft" (zit. Nach P. Pott)
Heinz Gess
Link zum Artikel (PDF): "Die fromme Idee der Arbeitsgesellschaft". Klicken Sie bitte hier.