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Solidaritätsaufruf für den mit dem Tod bedrohten iranischen Rapper Shahin Najafi

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Geschrieben von: Heinz Gess
Kategorie: Israelkritik, Nahost
Veröffentlicht: 20. Mai 2012
Zugriffe: 11289

Der im deutschen Exil lebende iranische Musiker Shahin Najafi wird mit dem Tode bedroht. Zwei hohe iranische Geistliche haben Najafi mit einer Fatwa belegt. Sie haben seinen Song „Naghi“ zur Blasphemie und Najafi zum „Apostaten“ erklärt, weil er in dem Song das iranische Gottesstaatsregime heftig kritisiert. Das Lied enthält zahlreiche Verweise auf den relativ unbekannten zehnten Imam ʿAlī al-Hādī an-Naqī. Es fleht Imam Naghi an „zurückzukehren“ und spricht viele soziale, politische und ökonomische Übel im Iran an, darunter die ökonomischen Sanktionen, Korruption, politische Unterdrückung, den Schönheits- und Sexwahn sowie die Ohnmacht der Intelligenz und Opposition. Zugleich reagierte das Regime mit der Fatwa auf das Cover des Liedes, das eine (Moschee-)Kuppel zeigt, die einer weiblichen Brust ähnelt mit einer Regenbogenfahne der Lesben- und Schwulenbewegung auf der Spitze der Brustwarze.

 

Wer ist dieser Musiker? Najafi wurde 1980 in Bandare Anzali in der iranischen Provinz Gilan geboren. Er studierte Soziologie an der Universität, erhielt jedoch keinen Abschluss. Zunächst arbeitete er als Dichter im Iran, nahm zugleich Unterricht in klassischer und Flamenco-Gitarre und begann eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Underground-Musik-Gruppen im Iran. Anders als die Mehrheit der Iraner mißtraute Naja den falschen Siegern der iranischen Revolution von Anfang an und setzte sich in seinen Songs kritisch mit den Verhältnissen im Iran auseinander. Das schloss notwendigerweise die Kritik an dem Regime des antisemitischen 'Gottesstaates’ und seiner religiösen Legitimationsform mit ein. Als Reaktion darauf wurde die Musik des bekanntesten iranischen Rappers von den herrschenden Mullahs verboten. Seine Konzerte wurden häufig gewaltsam aufgelöst.

2005 floh Shanin Najafi  aus dem Iran nach Deutschland. Auch im Exil ist er einer der wichtigsten und einflussreichsten Musiker für die junge Generation geblieben. Seine CDs werden im Iran illegal verbreitet, seine Lieder aus dem Internet heruntergeladen.  

2009 kam es im Iran zu einer großen Protestbewegung – der grünen Bewegung - gegen das Regime. Millionen Menschen auf der Straße forderten zunächst freie Wahlen, dann soziale Veränderungen und schließlich das Ende des Regimes. Shahin Najafi positionierte sich in der Protestbewegung. Sein Song „Zabane Atash“, in dem er dazu aufruft, die Waffen niederzulegen, vernünftig miteinander zu sprechen und nicht in der „Sprache des Feuers“ (übersetzter Titel), wurde zum Soundtrack der Grünen Revolution.

Durch seinen letzten Song „Naghi“ und seine Veröffentlichung im Internet fühlten sich die Gefolgschaft der  Vollstrecker des Gottesstaates auf Erden – wieder einmal - derart beleidigt, dass sie eine Anfrage an Großayatolla Ali Safi-Golpajegani stellten, wie sie auf die angebliche "Schmähung“ der Herrschaftsreligion zu reagieren hätten. Als Antwort  erließ der Ayatollah die Fatwa gegen Najafi. Sie ist als Anweisung zu lesen wie Moslems fortan mit dem „Apostaten“ umzugehen haben. Ich veröffentliche im Folgenden die beglaubigte Übersetzung der Fatwa.

Die Veröffentlichung geschieht auf Bitten von Nasrin Amirsedghi. Sie befürchtet, dass von den Medien hierzulande schon sehr bald verzerrende Übersetzungen der Fatwa und interessierte Fehlinterpretationen des Textes erscheinen werden und möchte dem entgegenwirken. Ich teile ihre Befürchtung und veröffentliche deswegen die beglaubigte Übersetzung. Sie ermöglicht es Ihnen, der pro-iranischen Meinungsmache hierzulande nicht auf den Leim zu gehen und sich ein unabhängiges Urteil über den Gehalt der Stellungnahme des Großayatolla Ali Safi-Golpajegani gegen Shahin Najafi  zu bilden.

Vorab aber noch ein Wort zu der Motivation von Nasrin Amirsedghi: Ihre Befürchtung ist voll und ganz berechtigt, wie erste Kommentare zu dem Vorgang in Focus Online und der TAZ belegen. Jener spielt den tödlichen Bannspruch herunter getreu seiner Maxime, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und nicht sein darf, was der Kapitalakkumulation (durch den Export) Schaden zufügen könnte. Er will ihn partout nicht als das erkennen, was er ist, sonder verkehrt ihn zu einem Diktum, das so nicht gemeint sei, sondern hierzulande falsch verstanden werde. So ist die schmähliche Reaktionsweise des Mitläufertums beschaffen, das frei nach Adorno sein eigenes Geschäftsinteresse vor allem anderen wahrnimmt, und das, um nur ja dieses Interesse nicht zu gefährden, sich nicht den Mund verbrennen will.[1]  Eine etwas andere Spielart derselben Reaktionsform liefert Daniel Bax von der TAZ. Er spielt die Reaktion der iranischen Mullahs zwar nicht in der Weise von Focus-online herunter, gibt aber seinen Lesern unmissverständlich zu verstehen, dass Najafi an dem tödlichen Bannspruch, der ihn treffe, selber schuld sei, weil er  aus eigener Erfahrung wusste, dass er mit seiner scharfen Kritik sämtliche Muslime – auch „ganz normale  Muslime“ -  beleidige und Muslime auf Beleidigungen der islamischen Herrschaft nun einmal so reagierten, wie sie reagiert haben.[2]/[3]  Das ist öffentlich propagiertes Einverständnis mit der schlechten Herrschaftspraxis, die den Boten für seine zutreffende negative Botschaft bestraft, weil nicht sein kann, was aus der Sicht der Herrschaft nicht sein darf. Es ist die unverhohlene Parteinahme für die drangsalierende autoritäre Herrschaft, die nichts duldet, was anders ist, und in eins die Aufforderung an die von ihr Drangsalierten, sich mit der zuschlagenden Macht gleichzuschalten, mit der trügerisch wohlmeinenden Begründung, dass sie anders den Schlägen der Macht nicht entgehen können.

Solche Parteinahme und implizite Aufforderung zur Identifikation mit der zuschlagenden, angeblich antikapitalistischen Macht nennt die  herrschende mediale Meinungsmache hierzulande zumeist  „kulturelle Toleranz“ und „Menschenfreundlichkeit“ gegenüber Muslimen.[4] Doch diese Zuschreibungen sind nur ideologisches Blendwerk, das zudeckt oder ins Gegenteil verkehrt, was wirklich geschieht. Nicht um Toleranz handelt es sich nämlich, sondern um pures Mitläufertum und die zum Mitläufertum notwendigerweise zugehörige Indifferenz gegen das Schicksal der Anderen. Ebenso  wenig handelt es sich nicht um Menschenfreundlichkeit gegenüber Muslimen, sondern um praktizierte Menschenverachtung in der Erscheinungsform von Islamfreundlichkeit.  Die Verachtung von Muslimen äußert sich in der fraglos unterstellten Setzung, ihnen stecke die autoritäre Unterwürfigkeit gewissermaßen im Blute und sie könnten deshalb gar nicht anders, als sich mit der  religiös legitimierten Herrschaft restlos zu identifizieren. Sie seien infolgedessen zwar zur Bildung muslimischer Volksgemeinschaften, nicht aber zur Demokratie, d. h. zur politischen und menschlichen Emanzipation in der Lage. Die Menschenwürde von Muslimen zu achten, hieße im Gegensatz dazu, solch falsche Setzungen zu bekämpfen, und Muslime wie andere Menschen auch als Personen anzuerkennen, die mit der sie bedrängenden Herrschaft keineswegs stets fraglos identisch sind und zu deren unantastbarer Menschenwürde sowohl das Recht auf diese Nicht-Identität als auch auf die öffentliche Bekundung der Nicht-Identität durch negative Kritik der Herrschaft und ihrer Legitimationsform gehört.  Demgegenüber ist die Argumentation im Focus und in der TAZ weder menschenfreundlich gegen Muslime noch tolerant, sondern lediglich die Reaktionsweise des Mitläufertums. Es ist für Adorno „ein allgemeines Gesetz des Bestehenden. Das Schweigen unterm Terror (der Nazis – HG) war nur dessen Konsequenz.“ Es „ist als Indifferenz gegen das Schicksal der anderen (als falsche Toleranz  - H G) die  Voraussetzung dafür, dass nur ganz wenige sich regten. Das wissen die Folterknechte und darauf machen sie stets erneut die Probe“.[5] So ist zu verstehen, was zurzeit im Iran geschieht. 

Indes erklären Fachleute der soziologischen Systemtheorie jenes „allgemeine Gesetz des Bestehenden“ (Adorno), auf das der Großayatolla Ali Safi-Golpajegani die neuerliche Probe macht, zur „Systemrationalität“ (Luhmann) oder  „funktionalistischen Vernunft“ (Habermas) und feiern die Vernunft des Mitmachertums  als letzte und höchste Stufe des „Fortschritts durch funktionale Differenzierung“. Die letzte Stufe ist es aber wohl nur im Sinne von Nietzsches „letztem Menschen“[6] und Horkheimers/Adornos „Dialektik der Aufklärung“.

Heinz Gess

Wenn Sie die ins Deutsche übersetzte Fatwa lesen wollen, klicken Sie bitte hier !



[1] Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, in: ders, Gesammelte Schriften, 10. 2 Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1977,  S. 687
[2] Todesdrohungen gegen iranischen Musiker.„Ich habe kein normales Leben mehr". Interview: Daniel Bax, in: www.taz.de › Leben › Köpfe , 12.05. 2012
[3]Siehe dazu auch: Jörg Lau,  Shahin Najafis falsche Freunde, in: Zeit Online 14. Mai 2012 

[4] Siehe dazu auch: Heinz Gess, Der mit den Wölfen heult. Über die deutsche Kumpanei mit dem Islamismus  in: Kritiknetz – Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft http://bit.ly/JbIAXm

[5] Theodor W. Adorno, ibidem
[6] S. Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra I-IV, Kritische Studienausgabe, KSA 4,  München 1993,  S. 19 ff
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