Im Juli 2002 titelte das Satiremagazin Titanic: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ Weil diese Frage noch der Beantwortung zu harren scheint, gibt Wolfgang Benz seit zwanzig Jahren den Antisemitismusbeauftragten der Bundesrepublik mit angeschlossenem Institut (ZfA). Seit einigen Tagen veranstaltet dieses Institut unter seiner Leitung nun seine diesjährige, dreitägige „Sommeruniversität“.
Chistian J. Heinrich fragt sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der letztjährigen Konferenz „Feindbild Muslim, Feindbild Jude“ –, wie es beim ZfA überhaupt um den Begriff des Antisemitismus bestellt ist. Dabei stellt er fest, welch sehr beschränktes Verständnis das Zentrum und insbesondere sein Direktor Wolfgang Benz von jenem Gegenstand haben, der ihrem Institut den Namen gegeben hat.
Nachdem ZfA im Dezember letzten Jahres die bahnbrechend falsche Erkenntnis hatte, dass „Islamo-phobie“ irgendwie das Gleiche sei wie Antisemitismus und also die Muslime die Juden von heute seien, beschäftigt es sich auf der diesjährigen Sommeruniversität mit den „Erscheinungsformen des aktuellen Antisemitismus“ und stellt sich zu diesem Behufe die merkwürdige Frage: „Extremismus oder gesellschaftliche Mitte?“. So falsch schon die Erkenntnis war und ist, dass Xenophobie - im vorliegenden Fall die Angst vor Moslems - den Antisemitismus ersetzen kann, so falsch ist auch die neuerliche Fragestellung schon als Fragestellung. Dass es zwischen der Xenophobie und dem Antisemitismus eine hohe positive Korrelation, aber kein Ersetzungsverhältnis gibt, und warum das so ist, hätte die Institutsleitung schon durch die Lektüre in der klassischen Untersuchung von Adorno et. al. (1944) „ Der autoritäre Charakter. Studien über Autorität und Vorurteil“ lernen können, die ihr offensichtlich nicht präsent ist. Oder sollte man annehmen, dass der Institutsleitung die philosophischen und empirischen Untersuchungen aus dem Frankfurter Institut für Sozialforschung seit 1932 (Hork-heimer, Fromm, Marcuse, Adorno, Löwenthal et. al.) nicht nur nicht präsent, sondern nicht einmal bekannt sind? Aus diesen Untersuchungen hätte sich darüber hinaus auch lernen lassen, dass die Formulierung der neuen „Forschungsfrage“ als ein "Entweder - Oder" ebenfalls falsch ist. Denn sie ist mit zu vielen Voraussetzungen belastet, die vermutlich selbst schon falsch oder zumindest sehr fragwürdig sind. Wenn man ungeachtet der hochgradigen Fragwürdigkeit der Präsuppositionen, die in die Fragestellung als selbstverständliche Voraussetzung eingehen, gleichwohl so formuliert, manifestiert sich darin der vorgefertigte Wille zur Reflexionsabwehr und Verdrängung von möglichen Erkenntnissen, die nicht in den ‚eigenen Kramladen’ passen. Offensichtlich das Denken der Leitung des Instituts so sehr in falschen Alternativen gefangen, dass die vermutlich richtige Lösung, nämlich „gesellschaftliche Mitte und extrem konformistisch und antisemitisch nicht aufgehen kann. Das könnte daran liegen, dass der Institutsleiter und sein Team sich selbst zur deutschen Mitte rechnen - zu jener Mitte, zu der auch Martin Walser, Norbert Blüm, Felicia Langer, Boris Palmer, Möllemann zählt - und deshalb felsenfest davon überzeugt sind, dass wo diese Mitte ist, es allein schon deshalb keinen Antisemitismus und Extremismus geben kann. Der eigene (kollektive) Narzissmus lässt nichts anderes zu. Also gibt in ihren Köpfen nur "die gesellschaftliche Mitte oder den Extremismus bzw. oder den Antisemitismus“.
Infolgedessen könnte man sich den ganzen Aufwand sparen. Das aber geschieht nicht und wird auch sobald nicht geschehen. Denn das ZfA erfüllt für die Bundesrepublik und deren herrschende „Mitte“ eine ihre Herrschaft und Politik legitimierende Funktion. Die Erfüllung dieser Funktion verlangt die Produktion von affirmativen Erkenntnissen, die an den realen Nihilismus der Macht und ihrer willigen Helfern nicht rühren, sondern es zudecken, verschieben, ins Positive verkehren und am besten mit der Wahrheit der positivistischen Wissenschaft lügen. Deshalb braucht man „empirische Daten“, die technisch korrekt erhoben worden sind, im positivistischen Sinn also „wahr“ sind, aber gleichwohl geeignet sind, das bestehende falsche Bewusstsein zu verstärken. Mit solchen Daten kann man die Kunden über die Negativität, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit haust, hinwegtäuschen und im Sinne der Rationalisierung (S. Freud) „lügen“. Wer nicht auf den Kopf gefallen ist und von der Technik des Forschungsdesigns etwas versteht, stellt das listigerweise schon durch die Formulierungen der Fragestellungen sicher und lässt die falschen Voraussetzungen, die verhindern, dass Kritisches ans Tageslicht kommen kann, versteckt schon in die Fragstellung eingehen. Darin hat das Institut für Antisemitismusforschung in Berlin es zugegebenermaßen zur deutschen Meisterschaft gebracht.
Heinz Gess
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