mit einem Interview mit Klaus Lederer zur Sache im Anhang
Auf Ernst Niekisch berufen sich aktuelle Nationalrevolutionäre von (völkisch) rechts bis (völkisch) links. Sie verstehen sich allesamt als antiwestlich, antiamerikanisch, antizionistisch und antiindividualistisch und streben eine “Querfront” an: auf nationaler Ebene arbeiten sie an einem Bündnis zwischen rechts- und linksradikalen Gruppierungen zur Abschaffung des liberalen Rechtsstaats und Ausmerzung des westlichen “Amerikanismus”. Weltweit unterstützen Nationalrevolutionäre nationalistische, regionalistische und islamistische Bewegungen und Regime, besonders wenn diese sich offensiv gegen die Vereinigten Staaten von Amerika wenden.
In der nationalbolschewistischen Tageszeitung „Junge Welt“ schreiben deren Autoren gegen Israel, die USA und „die Heuschrecken“ des Finanzkapitals. Jürgen Elsässer propagiert offensiv eine „Volksfront“ gegen das von den USA beherrschte Finanzkapital und bezeichnet die erfolglose Revolution gegen autoritäre, islamfaschistische Regime im Iran als einen Protest von „Discomiezen“, „Drogen-junkies“ und „Strichjungen des Finanzkapitals“. Nach den Vorfällen auf der „Mavi Marmara“, bei denen sich die Linksparteiabgeordneten Paech, Höger und Groth als Kombattanten der vernichtungsantisemitischen Hamas betätigten, forderte im sächsischen Landtag die NPD- Fraktion: “Keine Zusammenarbeit mit ‚Schurkenstaaten’ und meinte damit nicht etwa Gaza und die Hamas, sondern Israel. Denn es hieß weiter: „Sächsisch-israelische Partnerschaft beenden”. Das ist dem Sinn nach dasselbe, was auch Linksparteiabgeordnete wie Paech, Groth, Hänsel und Höger seit Jahren fordern und praktizieren. Hier wächst zusammen, was zusammen gehört: die deutsch völkische, nationalrevolutionäre Ideologie im rechten und im linken Jargon. Ihre verkürzte Kapitalismuskritik, die sich ausschließlich auf das Finanzkapital bezieht, ist kompatibel mit dem Parteiprogramm der NSDAP, dem 25-Punkteprogramm.
Die ideologische Nähe all dieser konformistischen Pseudorevolutionäre, die sich links geben, aber ihrer Ideologie und Charakterstruktur nach autoritäre Rechte sind, deren Hauptfeind immer noch oder schon wieder der angeblich „Völker zersetzende“, „internationale Jude“ ist, der mit Israel eine staatliche Kommandozentrale für die Zersetzung der islamisch-arabischen Welt habe und die deshalb restlos zerstört werden müsse, mag manchen verwundern, der daran gewöhnt ist, links und rechts als einander ausschließende Alternativen anzusehen und „links“ oder „sozialistisch“ womöglich noch immer mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher und individueller Emanzipation von gesellschaftlicher Herrschaft identifiziert. Seine Verwunderung zeigt aber nur, dass die alte Denkgewohnheit der Nachkriegszeit samt der Identifikation von „links“ als emanzipatorisch falsch war und ist. Sie zeigt außerdem eine deutsche Geschichts-vergessenheit an. Denn in Deutschland galt das so noch nie. Hier gab es zwar auch eine internationalistische emanzipatorische Linke, aber es gab ebenso sehr auch, und zwar auch schon zu Lebzeiten von Karl Marx, die deutsch-völkische Linke in verschiedenen Schattierungen als „feudalen Sozialismus“ , „deutschen“ oder „wahren Sozialismus“, „kleinbürgerlichen Sozialismus“, „Bourgeois-Sozialismus“, Freigeist-Sozialismus von Theo- und Anthroposophen, Freigeld-Sozialismus von Gesell sowie in anderen Variationen desselben Gedankenguts, das nie und nimmer die bessere Praxis der Emanzipation von gesellschaftlicher Herrschaft will, sondern den schlechten Traum von einer besseren, strafferen, gesünderen, gerechteren Herrschaftsform und Volksgemeinschaft („kollektiven Identität“) träumt, in der es „hart, aber gerecht zugeht“ und nicht mehr „jeder nach seiner eignen Pfeife“ tanzt, sondern immerzu nach der Pfeife von Jürgen Elsässer, der den Willen der organischen Volksgemeinschaft gegen das zersetzende Judentum und seinen Staat inkarniert. Was Karl Marx über diese Linke und ihren Volksgemeinschafts- oder nationalen Sozialismus dachte, ist nachzulesen im „kommunistischen Manifest“. Dort heißt es: Der deutsche Sozialismus „proklamiert die deutsche Nation als die normale Nation und den deutschen Spießbürger als den Normalmenschen. Er gab jeder Niedertracht desselben einen verborgenen höheren Sinn, worin sie ihr Gegenteil bedeuteten. Er zog die letzte Konsequenz, indem er direkt gegen die „rohdestruktive“ (zersetzende – H.G.) Richtung des Kommunismus auftrat und seine unparteiliche Erhabenheit über die Klassenkämpfe verkündete. Mit sehr wenigen Ausnahmen gehört alles, was in Deutschland von angeblichen sozialistischen und kommunistischen Schriften zirkuliert, in den Bereich dieser schmutzigen, entnervenden Literatur.“[1]
So ist es bis heute geblieben. Alles, was die Högers, Groths, Hänsels, Duhms, Elsässers von sich geben, gehört zu dieser schmutzigen entnervenden Propaganda, dass am deutschen (Friedens-) wesen die Welt genesen werde. Damit nicht genug: Setzt man in der zitierten Passage statt „deutscher Nation“ „Nation Europa“ ein, hat man zugleich eine ziemlich genaue Beschreibung der Lage in ganz Europa. Das mindestens war zu Lebzeiten von Marx noch anders.
Manfred Breitenberger erinnert in seinem Essay an diese alten, bis in die Gegenwart reichenden und wieder erstarkenden ideologischen Querfrontlinien. Er macht an „linken“ nationalsozialistischen Ideologen wie Niekisch, Radek und die Brüder Strasser deutlich, dass die nationalsozialistische Ideologie und Bewegung falsch begriffen wird, wenn sie nach der herkömmlichen Denkschablone der Nachkriegszeit als Bewegung rechtskonservativ eingeordnet wird. Richtig ist stattdessen, dass die Protagonisten der NS-Bewegung (darunter auch Goebbels) diese mehrheitlich als eine Bewegung begriffen, die den „deutschen (völkischen) Sozialismus“ durch die „nationale (deutsche) Revolution“ verwirklichen wollte, und in der die Unterschiede zwischen „rechts“ und „links“ aufgehoben seien. Nach Breitenberger ist ihre Ideologie damit weitgehend mit der heutiger Linker wie Elsässer, Höger, Groth, Hänsel, Duhm u. a. identisch. Das wiegt um so schwerer, als diese Leute bekanntlich nicht in der NPD oder AFD sind, wo sie als deren „linker“ Flügel hingehörten, sondern in der Partei „die Linke“, und diese Partei vorgibt, eine Partei zu sein, die es mit der emanzipatorischen Gesellschaftskritik und der entsprechenden besseren Praxis ernst meint. Damit aber ist völlig unvereinbar, dass sie Leute als Abgeordnete ihrer Partei duldet, die jene „schmutzige und entnervende“ (Marx) Propaganda verbreiten, die jeder antisemitischen Niedertracht von arabischen oder deutschen Spießbürgen einen „höheren Sinn“ verleiht, „worin sie ihre Gegenteil bedeutet“, und zu dieser Propaganda entweder schweigt oder sie beharrlich verharmlost, wie es Gregor Gysi seit Jahr und Tag tut. Will die Linke als emanzipatorische Kraft hierzulande überhaupt noch eine Zukunft haben, muss sie endlich den Mut aufbringen, die Auseinandersetzung mit der antisemitischen, deutschlinken Querfront in der Linkspartei offensiv und rückhaltlos zu führen, oder sie wird an ihrer eigenen Verzagtheit und ihrer anhaltenden Flucht in theorielose Praxis als emanzipatorische Linke zugrunde gehen und bald nicht mehr sein.
Noch aber kann das Blatt gewendet werden. Das belegt ein Interview, das die TAZ (Pascal Beucker) mit Klaus Lederer von der Linkspartei über die „rechts-linke Friedensbewegung“ geführt und unter dem Titel „Das ist ein Offenbarungseid“ (der Linkspartei - HG) veröffentlicht hat. Lederer kritisiert darin Sahra Wagenknecht und Dieter Dehm (MdB der Linkspartei) wegen ihrer Mitmacherei bei der Querfrontlinken und fordert, dass die Debatte über die „Offenheit“ der Linkspartei für das reaktionäre Gedankengut der Querfrontlinken endlich in aller Schärfe geführt wird. Das gibt ein wenig Hoffnung.
Das Interview finden Sie im Anhang zum Text von Manfred Breitenberger
Heinz Gess
Karl Marx, Manifest der kommunistischen Partei, in Karl Marx. Die Frühschriften, herausgegeben von Siegried Landshut, Stuttgart 1964, S. 554
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