Die folgende Studie von Gerhard Stapelfeldt führt Überlegungen weiter aus, die der Autor erstmalig in einem Vortrag, gehalten am 16. Oktober 2010 auf einem vom ‚Institut für vergleichende Irrelevanz’, Frankfurt, veranstalteten Gegensymposium zum 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vorgetragen hat. Die Intention der Veranstalter war es, „die von der kritischen Theorie erreichte Stufe gesellschaftstheoretischer Reflexion und der Selbstreflexion ›wissenschaftlichen Arbeitens‹ aufzunehmen und einen eigenständigen, kritischen Blick auf die Entwicklung der Soziologie zu werfen.“(Stapelfeldt)
Diese Intention aufnehmend, greift Stapelfeldt auf Horkheimers Diktum in seinem großen programmatischen Essay Traditionelle und kritische Theorie (1937) zurück:„Die kritische Theorie der Gesellschaft in Soziologie zu verwandeln, ist überhaupt ein problematisches Unternehmen.“ (Horkheimer 1977, 571)und expliziert den Satz durch die Darstellung der Begründung und Entwicklung von Gesellschaftstheorie und Soziologie, „so dass der Gegenstand, die Methode und das konstitutive gesellschaftliche und praktische Interesse beider Wissenschaften von der Gesellschaft in ihrer Einheit und Differenz deutlich werden. Indem die Genesis beider Formen einer Gesellschaftserkenntnis geklärt wird, werden mithin nicht ihre zufälligen frühen Erscheinungsformen vorgeführt, sondern die Logiken, innerhalb derer alle spätere Entwicklung – trotz aller sich ausbildenden Differenzierungen der jeweiligen Theorien – allein möglich war. Von einer kritischen Theorie der Gesellschaft ist nur zu sprechen, so lange eine bestimmte Form, eine bestimmte Logik und ein bestimmtes praktisches Erkenntnisinteresse gegeben ist; gleiches gilt für die Soziologie.“ (Stapelfeldt)
In diesem Sinn skizziert Stapelfeldt zunächst die Begründung von Gesellschaftstheorie und Soziologie im frühen 19. Jahrhundert und konzentriert sich sodann auf die Entwicklung der Soziologie in Deutschland nach 1945. Die Entwicklung wird exemplarisch an den Verhandlungen auf den Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main entfaltet. Das Resultat seiner Untersuchung fasst der Autor wie folgt zusammen: „Soziologie, die Wissenschaft vom logos der societas hat ihre gesellschaftliche Funktion verloren. Ihre universitäre Reduktion auf ein bloßes Nebenfach, wenn nicht gar ihre universitäre Abschaffung, (…) entspricht den herrschenden Verhältnissen. Dieser von außen verordneten Erosion entspricht ein innerer Verfall. Substantielles Interesse verdient die Soziologie nur noch als Gegenstand einer gesellschaftstheoretischen Kritik, die ihre Genesis, ihre Entwicklung, ihren Verfall aufklärt: nicht einmal als Dialektik der Aufklärung – denn ein Verfallsprodukt der Aufklärung war die Soziologie seit Anbeginn.“ (Stapelfeld)
Heinz Gess
Wenn Sie den Vortrag lesen möchten, Klicken Sie bitte hier!