Stapelfeldt erläutert in der folgenden Abhandlung zunächst den historischen Kontext der religiösen Individualisierung im späten Mittelalter. Sie war danach Folge des Zerfalls des mittelalterlichen, religiös gestützten Mythos der Welteinheit infolge einer Krisenkonstellation von Katastrophen. Die Krise führte ökonomisch zum Übergang von der alten Ökonomie der Hauswirtschaft zur Chrematistik, d. h. zum Kapitalismus in Form des Kaufmanns- und Verlagskapitalismus. Der Fortgang der Ware-Geld-Ware-Tausch zum Geld-Ware-Geld-Tausch und damit die Erhebung des Geldes zum Selbstzweck wirtschaftlichen Handelns bedeutete philosophisch, dass der am Tausch gewonnene Logos Selbständigkeit und Identität erlangte – allerdings erst in Gestalt Gottes - und sich die Vorstellung des Individuums als des innerlich freien selbständigen Menschen in unmittelbarer Einheit mit dem Logos (Gott), dem Identisch-Allgemeinen, ausbildete. „Es konstituierte sich in Form der metaphysischen Identität“ (S. 4)
Im Hauptteil seiner Studie stellt der Autor detailliert dar, welche Form die religiöse Rationali-sierung insbesondere bei Luther annimmt. Er stellt dazu fest, bei Luther werde „die meta-physische Identität des Christenmenschen unverstellt als Einswerdung mit Gott im Glauben an Christus bzw. als „Individuierung durch Verschmelzung mit dem Allgemeinen“ (S. 9) aufgefasst. Entsprechend bleibe „das Nicht-Identische, das Fremde, das die Identifikation nicht vollzieht, als Feind“ (S. 9) ausgeschlossen. Gegen diese Feinde, die des Teufels seien, sei „Gewalt zu vollstrecken: im Namen Gottes. Die metaphysische Ich-Identität ist autoritär und masochistisch gegenüber der Gemeinschaft der Gläubigen, darum aber sadistisch gegenüber der Außenwelt der Unangepassten und Nicht-Gläubigen. Dennoch ist die Reformation Luthers eine Revolution, die jener in der Philosophie, der Ökonomie und bildenden Kunst nicht nachsteht, weil der metaphysische Individualismus nun in die christliche Religion einzieht.“ (ibd.)
Diese Grundthese erläutert Stapelfeldt sodann in zwei Schritten. Im ersten Schritt stellt er an Hand Luthers Schrift von „der Freiheit eines Christenmenschen“ dar, dass für Luther der paradoxe Zusammenhang von Freiheit durch Unterdrückung zentral ist und erläutert - unter Bezugnahme auf die Abhandlung „Von weltlicher Obrigkeit. Wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ -, was aus diesem paradoxen Zusammenhang für „das Recht auf Widerstand“ folgt. Im zweiten Schritt stellt er dann dar, wie Luther auf Grund seiner prinzipiellen Erwägungen über „die Freiheit des Christenmenschen“ und dessen höchst eingeschränkten „Recht zum Widerstand“ zum Aufstand der Bauern (1524/25), zum Handel und Wucher und zur „Judenfrage“ Stellung nimmt. Er stellt heraus, dass insbesondere Luthers mörderischer Judenhass durch den inneren Zusammenhang von Masochismus und Sadismus beides bewusstlos ausdrückt: Das Leiden an der verinnerlichten Herrschaft und den konformistischen Aufstand dagegen.(s. S. 37)[1]
Heinz Gess
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