Was bei Frank Schirrmacher (FAZ) nicht zu lesen ist.
Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, hat ein lesenswertes Buch geschrieben: Payback. Zu Recht schreibt er, dass das heute allseits geforderte Multitasking Körperverletzung ist. Allerdings ist sein Kreuzzug gegen den allgegenwärtigen Algorithmus längst überfällig. Schirrmacher beklagt den Verlust des eigenständigen Denkens und will informieren, warum wir „gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen“. Dass wir tun, was wir nicht wollen, das hat er hervorragend beschrieben, aber warum wir wollen, was wir eigentlich nicht wollen, das habe ich bei ihm vermisst.
Esoterik ist kein modernes Phänomen, nur der Rekurs auf den Wissenschaftsaspekt ist relativ neu (seit Ende des 18. Jh.). Esoterik ist eine Weltanschauung, die den Menschen von Denken, Entscheiden, Kritik und Wachsamkeit befreit, die ihn die Bequemlichkeit und Begeisterung genießen lassen, ihn aber zugleich in die Epoche vor der „Entzauberung“ (M. Weber) durch die Aufklärung und in den „dogmatischen Schlummer“ (I. Kant) zurückführt. Wenn Heinz Gess von Neuro-Metaphysik schreibt, dass sie die gegenwärtigen Tendenzen zur Liquidation der Indiviualität ieologisch rechtfertigt, ohne sich dieser ihrer gesellschaftichen Funktion bewußt zu sein und Philosophen versteht, dann ist sein Standpunkt nicht nur berechtigt, sondern erst recht im Zusammenhang mit dem hier Diskutierten zu verstehen. Heinz Gess enttarnt die Behauptung von der Illusion des Individuellen in den Neurowissenschaften als alten Hut der Transpersonalen Psychologie, die Karin Daecke ihrerseits als faschistoide Esoterik identifizieren konnte. Zweck dieser Ideologie ist es, dass „(…) das ich-lose Lebendige sich selbst zum Ding macht und den ganzen Menschen bewusst als seine Apparatur in Dienst nimmt (Gess) Das hatte reale Konsequenzen für die Zurichtung des Leibes zum Körperinstrument. Diese Konsequenzen gewinnen heutzutage auf Grund des auf die Verwertung des Wissens im kapitalistischen Produktionsprozess abgestellten technischen Fortschritts eine neue Qualität. Das Lebendige macht sich nicht nur zum Ding oder Apparat, sondern die Technik wandert wirklich realiter in den Körper mittels Doping, Prothesen und leistungsfähigeren technischen Instrumenten, so dass er zusehends ein auf Hochleistung getrimmtes „Humanvermögen“ des gesellschaftlichen Betriebes
wird.“ Diese angeblich wissenschaftliche Negierung der Individualität, deren Ideen von faschistoid-esoterischen „Psychologen“ formuliert wurden, hat nach Gess ähnliche Folgen für die Moral der Menschen, die solche Standpunkte verinnerlicht haben. ...
Resultat: Schirrmacher bleibt an der Oberfläche. Er kritisiert die Vernichtung des selbstständigen Denkens und den Verlust der bürgerlichen Freiheit durch die Kontrollmöglichkeiten, die die Kommunikationstechnologie bietet. Dass er damit das systemimmanente Paradoxon des Kapitalismus thematisiert hat, entgeht ihm. Ihm entgeht auch, dass die Selbstalgorithmisierung, die der Rezeptitis der Geräte entgegenkommt, einher geht mit Muckermanns Perfektionismus. Mithilfe dieser Selbstvergewaltigung, die im äußeren Erscheinungsbild der Selbstverwirklichung auftritt, verliert Muckermann sowohl seine Freiheit als auch seinen Humor (daher der Bedarf an Comedy-Sendungen). Er tritt auf in der Pose dessen, der jederzeit souverän auftritt, obgleich er insgeheim der Rede vom Kontrollverlust zustimmt.
Frei nach Herbert Rätz
Heinz Gess
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