Unter Bezugnahme auf Raul Hilberg unterscheidet Büttner drei historische Etappen des Antijudaismus/Antisemitismus
- Vom 3. bis 11. Jahrhundert, also der Spätantike bis Ende des Hochmittelalters:
Diese Periode folgte dem Motto:
Ihr habt kein Recht, als Juden unter uns zu leben!
- Vom 12. bis 17. Jahrhundert, somit dem Spätmittelalter bis zur frühen Neuzeit:
In dieser Periode lautete das Motto:
Ihr habt kein Recht, unter uns zu leben!
- Vom 18. bis 20. Jahrhundert, und damit der sog. „Neuzeit“:
Diese letzte Periode folgte folgerichtig dem Motto:
Ihr habt kein Recht, zu leben!
Er geht zunächst kurz auf die Genese des Antijudaismus in der Spätantike und seine Verschärfung im Spätmittelalter ein, die ihren Höhepunkt in der Propaganda fanatischen Judenhasses bei dem christlichen Reformator Martin Luther findet. Den Hauptteil widmet Büttner dann der Explikation und Erklärung des modernen (Vernichtungs-) Antisemitismus (Antizionismus) als einer aus der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise und dazugehörigen Marktwirtschaft selbst hervorgehenden Form des konformistischen warenfetischistischen Protestes, der in Zeiten der Krise, in der die Bewegung des Kapitals an ihre immanenten Grenzen stößt, als systemisch falsches Bewusstsein von der Krise eine positive Funktion für die Erhaltung eben dieses schlechten Ganzen erfüllt, welches das uralte Unrecht von gesellschaftlicher Herrschaft und Ausbeutung ins Unermessliche anwachsen lässt, bis es daran selber zugrunde geht.
Die Explikation und Erklärung nimmt der Autor vor in drei Schritten vor:
Zunächst zeigt er anhand von Jean Paul Sartres „Überlegungen zur Judenfrage“, wie das antisemitische Denken der Neuzeit strukturiert ist und wie sich der Antisemit in der Welt positioniert. Die Revolte des Antisemiten stellt „eine konformistische Revolte dar, eine Revolte nicht gegen den Aggressor, gegen das Übel der falsch eingerichteten Welt“, sondern zielt stattdessen auf die Ausmerzung des Nichtidentischen, die Eliminierung des halluzinierten Eigenschaftsträgers (des Übels), der in sich alles Menschliche verkörpert, das der Antisemit in sich unterdrückt und von dem er nicht loskommt." (Büttner, S. 10).
Anschließend erklärt er in Anlehnung an Moishe Postone, warum die antisemitische Assoziationskette in der Form, wie sie für den späten Krisenkapitalismus kennzeichnend ist, in letzter Konsequenz immer auf die Forderung der Vernichtung der abstrakten Seite der Warenproduktion durch Vernichtung der Juden hinausläuft und dass diese furchtbare Denkform eine der krisenhaften kapitalistischen Produktions- und Verkehrsweise als solcher innewohnende, ihrer Bestanderhaltung dienliche Ideologie ist („notwendig falsches Bewusstsein“ – Karl Marx).
Im dritten Schritt zeigt er in Anlehnung an Holger Schatz und Andrea Woeldike, warum diese eliminatorische Konsequenz ausgerechnet in Deutschland und durch Deutschland in aller denkbaren Brutalität in die Tat umgesetzt wurde.
Resultat dieser Umsetzung war die systematische Ermordung und Ausraubung von sechs Millionen Juden in Europa. Gleichwohl war das an den Juden begangene grauenvolle Verbrechen gegen die Menschheit letztendlich nicht erfolgreich. Denn worauf das beispiellose Menschheitsverbrechen abstellte, dass keine Spur vom Judentum und den Juden (Luther) zurückbleibe, scheiterte. Zurück blieb, dass die dem Massenmorden in Europa und sodann den Drangsalen und Verfolgungen in den heute „judenfreien“ arabischen Ländern Entkommenen in eben jenem Land, aus dem die imperiale römische Herrschaft ihre Vorfahren im ersten Jahrhundert vertrieben hatte, neu wieder den Staat Israel als politisch emanzipiertes Gemeinwesen gründeten und ihn seitdem gegen alle Versuche verteidigen, die antisemitische „Endlösung“ durch Vernichtung des Staates Israel und der politisch emanzipierten Juden, zu Ende zu bringen..
Trifft die kritische Analyse Büttners vom modernen Antisemitismus als aus der kapitalistischen Produktions- und Verkehrsweise hervorgehende Denkform des konformistischen Protestes zu, woran ich keinen Zweifel hege, muss sich der postmoderne postnazistische Judenhass konsequenterweise heute in erster Linie auf den Staat Israel, den Juden unter den Staaten, richten. Denn nach wie vor besteht das stahlharte Gehäuse der Hörigkeit mitsamt dem aus seiner Verinnerlichung hervorgehenden blindwütigen Hass und den hasserfüllten Projektionen auf das Wahnbild „des Juden“ als den Prototypen des zur Einheit/Versöhnung existenziell unfähigen Gegenmenschen zum wahren Menschen fort. Leider geht der Verfasser des Artikels auf das Weiterleben des antisemitischen konformistischen Protestes und seine postnazistischen, der Gegenmensch gegenwärtigen Lage angepassten Rationalisierungsformen nicht weiter ein. Wer den Text richtig zu lesen versteht, wird aber auch so in der Lage sein, aus dem Aufsatz die richtigen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Fortlebens des zu ziehen.
Der Aufsatz „Antisemitismus als Denkform“ ist die erweiterte schriftliche Fassung eines Vortrags, den der Autor am 4. Juni 2014 im Bildungszentrum Konstanz gehalten hat.
Heinz Gess
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